Letzte Fischer
Tommy, wie ihm die Haut brannte. Er gab dem Mann die Cola, die der Baske direkt aus der Karaffe trank.
Er rülpste, ehe er fragte, was Tommy wischen wolle.
»Die Scheibe von dem Bullauge da, das ist ja eine Dreckschicht wie bei einem U-Boot.«
»Was weißt du schon über U-Boote? Egal, viel Glück beim Wischen! Bin gespannt, wie du das anstellen willst.«
»Wieso?«
»Das Scheißding bekomme nicht einmal ich auf, und ich bekomme so ziemlich alles auf.«
»Mir wird schon was einfallen«, sagte Tommy und musterte das Bullauge erneut. Sicherlich, die Feststellschrauben sahen ziemlich verrostet aus, das Dichtungsgummi kam an der Seite heraus und war schimmlig, aber da musste es doch eine Möglichkeit geben. Tommy meinte im Stillen, der Harpunier habe es nur nicht richtig probiert. Sonst hätte er es ja geschafft!
»Nun räum deinen Seesack aus, ich mach gleich deine Koje frei. Du schläfst oben, keine Widerrede.«
Tommy nickte und öffnete den rechten Spind, weil an ihm kein Schloss hing. Das Schloss am anderen Metallschrank war zwar offen, aber er wollte kein Risiko eingehen. Bestimmt war das offene Schloss eine Besitzanzeige. Er wusste, an Bord sei ein Zeichen immer ein Anzeichen. Nicht alles werde auf einem Schiff abgegrenzt, aber alle Zeichen seien Abgrenzungen und somit einzuhalten.
»Nicht viel Platz«, sagte er und stapelte seine Sachen in den schmalen Schrank.
»Deine Wertsachen kommen da in den Tresor«, sagte der Baske leise: »Und rede bitte nicht so viel.«
Tommy sah zwei Metallfächer über der Schreibtischplatte, die sich zwischen den Spinden befand. Das obere Fach war verschlossen, das untere offen. Die Fächer waren so breit wie Schulhefter und so hoch wie sein Lieblingsbuch, das erste deutsche Hochseeepos. Tommy nickte zufrieden, reichte dieser Platz doch für seine Tagebücher.
Nachdem er den Spind vollgepackt hatte, nahm er die drei Notizbücher und schob sie in seinen Tresor. Obenauf legte er die Geldbörse, den Pass und die Bescheinigungen.
»Und wie gehen die zu? Gar keine Ösen für ein Sicherheitsschloss da«, sagte Tommy.
»Zahlenschloss.«
»Und die Zahlen?«
»Innenseite.«
»Na, das nenne ich ja mal sicher. Da hat bestimmt noch keiner nachgeschaut, was?«
»An Bord gibt’s keine Diebe. Ist nur wegen Überfällen oder Wassereinbruch oder Feuer. – Willst du hier etwa jemandem unterstellen, er würde klauen?«, fragte der Baske und war schon halb aufgestanden. Die Fäuste des Mannes waren geballt, und Tommy schüttelte schnell den Kopf: »Natürlich nicht, das war bloß ein blöder Scherz!«
»Das meine ich auch!«
Der Baske setzte sich wieder, und Tommy untersuchte die Innenseite der Tresortür. Ganz unten standen vier Zahlen. Es waren vier Einsen, Tommy grinste: »Na, wenigstens leicht zu merken. Hast du auch vier Einsen?«
Der Baske nickte, hielt aber mitten in der Bewegung inne, drückte mit den Daumen gegen die Schläfen und stöhnte.
Er sagte: »Erste Regel: An Bord ist ein Mann einem anderen Mann niemals Rechenschaft schuldig. Zweite Regel: Das Privatleben eines Mannes geht einen anderen Mann überhaupt nichts an. Dritte Regel: Erklärungen sind an Bord schädlich fürs Klima. Sie ziehen immer andere Erklärungen nach sich, und am Ende kommt niemand mehr dazu, seinen Job ordentlich zu machen. Vierte Regel: Den Job ordentlich zu machen, das ist das absolut Wichtigste an Bord! Fünfte Regel: Nur wenn jeder seinen Job gut und zuverlässig macht, können alle überleben. Sechste Regel: Niemand wird nach seinem Innenleben befragt. Siebente Regel: Jede freie Minute wird fürs Schlafen verwendet. Zwanzig Minuten Schlaf sind mehr wert als siebenundsiebzig Jungfrauen.«
»Okay, ich schreibe es mir nachher noch einmal auf, nur zur Sicherheit.«
»Meinetwegen«, sagte der Harpunier, plötzlich stolz, dass es da einen gab, der sich seine Worte notieren wollte: »Vergiss nicht, hier liegst du zur Probe. Das hier ist ein Knast. Ein Schiff ist ein Gefängnis ohne Besuchsrecht.«
»Verstanden.«
»Genauso wird hier geantwortet!«
»Danke sehr«, sagte Tommy: »Jetzt kenne ich schon mal die ersten sieben Regeln und weiß schon mal Bescheid. – Aber wenn wir im Hafen sind, dann muss man doch nicht jede freie Minute pennen, oder? Gilt doch nur auf See?«
»Das gilt alles nur für die Seezeit. Wenn du an Land Freiwache hast, kannst du machen, was du willst. Hauptsache, du weißt, wann deine Schiffswache anfängt. – So, die Cola hilft! Meinem Kopf geht’s besser, das kann ich
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