Letzte Fischer
können sich ja in Gegenwart von Frauen nicht wie Männer unter sich verhalten. Frauen dringen heute überall in die Männerwelt ein. Sie werden Pfarrer, Offiziere, Schiedsrichter, sie kommen jetzt sogar schon auf Fischtrawler und sind Bewacher! Wo soll das noch enden? Wo sind die Männer denn noch sicher vor den Frauen? Wo können sie noch ungestört Männer sein? Bald nirgends mehr! Und dann? Dann bleibt ihnen nur, sich zu verändern, auch Frauen als Männer wahrzunehmen. Dann aber finden sie Frauen nicht mehr erotisch. Sie werden sich nicht mehr um sie kümmern, sie nicht mehr versorgen und beschützen. Die Frauen werden das selbst tun, und so wird es bald keine Familien mehr geben. Die Kinder, die in ein paar Jahrzehnten aufwachsen, werden keine Familien mehr haben. Sie werden entweder weibliche Vorbilder haben, die sich männlich verhalten, oder männliche, die sich weiblich verhalten. Tja, das wird die neue Lebensform sein: Keine Familien mehr, Ende im Gelände, das meinte ich mit den Errungenschaften der Emanzipation. Die Schuldfrage sollte unbedingt geklärt werden, und nun ist sie geklärt, aber die Antwort gefällt uns allen überhaupt nicht! Wir stecken in der Sackgasse!«
»Mir schwirrt der Kopf«, sagte Tommy. »Du willst mich wohl mit Absicht verwirren?«
»Das glaube ich. – Nein, verwirren will ich dich nicht.«
»Bei mir muss das trotzdem irgendwie anders sein.«
»Warum?«
»Weil ich bei meinem Vater aufgewachsen bin, der davor Seemann war.«
»Davor?«
»Bevor meine Schwester und meine Mutter bei einem Autounfall gestorben sind. – Das bleibt unter uns!«
»Oh, verdammt! Das tut mir leid!«
»Macht nichts, ich kannte sie ja kaum«, sagte Tommy und versuchte zu lächeln, was ihm aber nur schief gelang.
Luise wehrte sich, doch dann erlag sie dem Wunsch, den Jungen zu umarmen und ihn fest an sich zu drücken. Er erwiderte die Umarmung, und minutenlang schmiegten sie sich aneinander.
»Dann bist du wirklich was Besonderes«, flüsterte Luise schließlich und drückte den Bootsjungen weg: »Dann muss man für dich noch eine dritte Kategorie erfinden. Dann bist du kein so leichtes Opfer.«
»Wie meinst du das nun wieder?«
»Na ja, wenn Frauen Männlichkeit vor sich hertragen, dann ist es ja doch nur eine Prothese, wenn sie sich in die Spiele der Männer drängen, dann ist es ja doch nur strategisch. Männer lachen beim Spielen, hast du schon mal eine Frau beim Spielen lachen sehen? Höchstens lächeln, nehme ich an. Männlichkeit nachahmende Frauen sind keine erotische Vorstellung für Männer, Fraulichkeit nachahmende Männer wiederum keine für Frauen. Was ahmst du nach? Was ist deine Kategorie? Männer, die als Jungs bei den Müttern aufgewachsen sind, sind leichte Beute für die neuen Frauen, aber du? Du bist beim Vater aufgewachsen, du bist ein ungezähmtes Raubtier und spielst nur die Rolle des femininen Jungen, weil deine Freunde es auch so tun. Oder? Ich glaube, du gehörst den letzten Echten an!«
»Die letzten, echten Männer«, flüsterte Tommy wieder.
»Ja, aber dann müsstest du doch eigentlich Körperbewusstsein haben, komisch! Du müsstest dicke Bizeps haben; komisch.«
»Tja, vielleicht stimmt nicht alle Theorie!«
»Ja, das kann sein, dass du dir deiner noch nicht voll bewusst bist. Bei dir war Männlichkeit schließlich keine Muttersache. Bei dir wurde die Männlichkeit sogar vom Vater an den Sohn weitergegeben. Vorbildlich! Aber auch vorsintflutlich. Tut mir leid, du passt nicht in meine Vorstellungswelt! Du bist was Seltenes!«, sagte Luise lachend, ehe sie wieder mit einem Rundblick den Horizont abtastete. »Ich schätze, du bist Manns genug, um den männlichen Nimbus zu erfüllen: das eigene Leben aufs Spiel zu setzen. Dieser letzten Konsequenz würdest du dich noch stellen, du wärst dann kein Amateurmann. Du wärst fähig, wie ein echter Kerl zu handeln: von einem Moment auf den anderen alles über den Haufen zu werfen. Und das ist es ja, wovor Frauen immer Angst haben. Dass ihre Ehemänner plötzlich den gesamten Lebensinhalt und den ganzen Alltag in Frage stellen, stumm ihre Sachen packen und in die Welt der Männer ziehen, um sich endlich den Wunsch zu erfüllen, den sie seit Ewigkeiten mit sich herumschleppen: Den in der Jugend begonnenen Weg endlich bis zum Ende zu gehen! Egal, ob man nun gewinnt oder verliert! Wieder auf dem Weg zu sein, von dem man der Ehe wegen abgebogen war. Das beherrscht die Träume der Männer. Deshalb konsumieren sie Actionfilme,
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