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Letzte Fischer

Titel: Letzte Fischer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Harry Altwasser
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Siebzehntausend-Tonnen-Frachters Hai Shin einen starken Verwesungsgeruch bemerkt. Sie machen die schweren Schotts der begehbaren, abgestellten Tiefkühlkammern auf und finden, jeweils zu Zehnerpacks verschnürt, die nackten Leiber der Besatzung aufgestapelt: Keinerlei Merkmale zur Identifizierung mehr da!«
    »Scheiße!«, sagte der Kapitän der Rimbaud : »Das heißt, Kopf ab? Hände und Füße ab und über Bord damit?«
    »Genau. Keine Opfer, keine Tat! Und den Rumpf als Abschreckung dalassen«, sagte Oleg, und sein Bruder nickte ernst: »Es ist ja so, Piraterie hat enorme Zuwachsraten. Zweitausendeins wurden nur dreihundertfünfunddreißig Schiffe angegriffen, wobei lediglich zweihunderteinundvierzig Seeleute ums Leben kamen . . .«
    ». . . alles ehrliche Männer. Zivilisten, die einfach ihrem Job nachgingen«, sagte Bolek und nickte, als sein Bruder fortfuhr: »Heute sind es hundert Mal mehr Überfälle, aber eines ist gleich geblieben: Keine Polizei der Welt kann etwas dagegen tun, weil die Überfälle immer außerhalb der Hoheitsgewässer der Länder stattfinden. Auf der offenen See gibt es keinen Schutz, weil hier ein rechtsfreier Raum ist. Wo kein Richter ist, da ist kein Staatsanwalt, und erst recht ist da kein Henker. Man weiß immer noch nicht, wer überhaupt ermitteln soll! Welches Land? Wie überwachen? Auf See ist noch alles wie vor fünfhundert Jahren, nur tödlicher! Dabei werden fünfundneunzig Prozent des Welthandels über die Meere abgewickelt! Was da für Werte schwimmen! Ungesichert! – Malakkastraße, vor den Philippinen, die ganze afrikanische Küste, die Karibik und neuerdings auch das Mittelmeer, das sind die gefährlichsten Ecken. Sechzehn Billionen Dollar gehen dem Welthandel pro Jahr durch die Piratenüberfälle verloren! Aber die Rechnung ist veraltet.«
    »Die Piraten sind bis an die Zähne bewaffnet, und was haben die Schiffsbesatzungen? Nachts sollen sie Deckbeleuchtung anmachen, Wasserwerfer und Dummys positionieren und Reißzwecken verstreuen, weil die Hijacker, die meist bettelarm sind, ja immer barfuß kommen. – Na, ist das nicht eine beruhigende Strategie?«, fragte Thomas, erwartete aber keine Antwort. »Die Piraten werden dabei immer brutaler. Es gibt da nämlich eine zweite Sorte. Die sind von Mafiabanden ausgerüstet, die erpressen und organisieren strategisch das Geld, das auf dem Wasser herumschwimmt, herrenlos herumschwimmt. Diese zweite Sorte ist brutal, schonungslos und kaltblütig. Sie wollen keine Gefangenen machen, weil diese sie wiedererkennen könnten. Sie wollen töten! Sie setzen Granatwerfer und Panzerfäuste ein. Sie verfügen über Sturmgewehre und Panzerbrecher, und statt Rum zu trinken, kauen sie Khat! Khat ist ein Zeug, das macht dich unbesiegbar und schmerzlos! Mit diesem Khat merkst du gar nicht, dass du stirbst, wenn du stirbst! – Diese Piraten sind richtige Angestellte von irgendwelchen Warlords, von korrupten Regierungen, von organisierten Verbrecherringen oder von terroristischen Vereinigungen, die sich so einen leichten Schein verdienen! Wenig Risiko. Sie holen sich die Kohle ab und wollen nur eines nicht: Zeugen! Köpfe ab und über Bord damit! – Und euch ist es sogar verboten, Waffen mit an Bord zu nehmen! Ihr habt Feuerlöschschläuche, Löschkanonen und Feueräxte! Und in der Kantine gibt’s noch ein scharfes Küchenmesser! Zum Schreien komisch!«
    Doch niemand lachte. Luise musterte das Gesicht des Kapitäns, dessen Augen sich geweitet hatten.
    »Die Piraten haben Granaten mit Raketenantrieb, leider kein Witz!«, fuhr Thomas fort, und gerne hätte Luise ihn unterbrochen, aber sie wusste ja, dass es gut war, wenn er ein wenig aus dem Nähkästchen plauderte. Gut für die ›Akzeptanz an Bord‹, wie es im neuen Handbuch hieß. Sie nickte und warf einen Blick auf Tommy, der aber mit dem Rücken zu ihr an der Back saß. Woran er wohl denken mochte? Luise bereute es, ihn mit dem Gerede von den neuen Männerrollen belastet zu haben, dann aber dachte sie, Menschen seien gemeinhin viel belastbarer als man immer so glaube, gerade dann, wenn sie liebten. Ob er verliebt war? Hoffentlich nicht! Oder doch, warum eigentlich nicht? Das Bürschchen könne ihr ja wohl kaum gefährlich werden, ging es ihr durch den Kopf, ehe sie wieder zuhörte.
    »Piraten entern meist nicht das Ladedeck, sondern schleichen sich im Radarschatten von achtern heran und greifen vom Heck aus an, indem sie die Wurfanker über die Reling schleudern und hochklettern. Bei euch

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