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Letzte Fischer

Titel: Letzte Fischer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Harry Altwasser
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Regel, solange der Wal noch nicht blase.
    Noch immer war die Rimbaud auf dem Weg ins Fanggebiet, Tommy schlenderte übers Oberdeck und suchte Luise. Er hatte sich die erste Frage genau überlegt. Er wollte nicht, dass sie blöde klang. Er wusste, die erste Frage müsse sitzen. Die erste Frage entscheide über den Verlauf des ganzen Gesprächs. Er hielt das Gesicht in den Fahrtwind, die Haare wurden ihm zur Seite gestrichen, als er Luise auf dem Dach der Brücke entdeckte. Sie hielt Ausschau. Allein!
    Tommy drehte noch eine Runde um die Brücke, dann kletterte er die Nock hoch, um die drei Stufen zum Dach in Angriff zu nehmen, die als gebogene Stangen ans Metall genietet waren.
    Er klopfte gegen das Eisen, Luise drehte sich um und nickte ihm zu.
    Sie trug einen ausgeblichenen, olivgrünen Kampfanzug, der an manchen Stellen geflickt war.
    Zwei Ferngläser lagen vor ihr. Sie saß im Schneidersitz, ihr Blick tastete den Horizont ab. Tommy stand vor ihr, strich sich das lange Haar aus dem Gesicht und sagte so beiläufig wie möglich: »Bisschen übertrieben der ganze Aufwand, oder?«
    Luise sah zu ihm hoch, schüttelte den Kopf und sagte: »Ein Frachter kostet vierundachtzig Millionen Dollar. Die Fracht ist sechsundfünfzig Millionen Dollar wert. Rechne selbst.«
    »Was? So viel?«, fragte Tommy, beugte sich interessiert nach vorne und setzte sich Luise gegenüber.
    Geschafft, er saß!
    »Wirklich eine Menge Geld«, sagte er wie nebenbei.
    »Ja«, sagte Luise: »Und das sind alte Zahlen. Etwa schon fünf Jahre alt. Die neuen lassen sie uns gar nicht mehr wissen.«
    »Warum nicht?«
    »Man könnte auf dumme Ideen kommen.«
    »Welche?«
    »Von der Abwehr zum Angriff überzugehen, zum Beispiel. Man könnte zur Abwechslung auch einmal richtiges Geld verdienen, wenn du verstehst.«
    »Klar verstehe ich, aber so ein Typ bist du ja nicht. Du bist doch ganz in Ordnung«, sagte Tommy. »Und wie du mit den alten Männern umgesprungen bist, fand ich gut. Meinst du, die lassen sich das gefallen? Der Baske sah gar nicht so glücklich aus . . .«
    »Auch an dem gehen die Errungenschaften der Emanzipation nicht spurlos vorbei. Er und seine Leute brauchen eben nur ein paar Jahre länger«, sagte Luise, runzelte die Stirn, tastete nach einem der Ferngläser und hielt es sich wenig später vor die Augen: »Ach, wieder nur eine Yacht! Kannst du mir erklären, warum die Leute hier in der Kälte herumsegeln? Also, ich würde jetzt lieber schön im Mittelmeer sein. Den Eisernen Steuermann an und fertig.«
    » Eiserner Steuermann ?«
    »Die Ruderautomatik. Als einzigen Laut gibt die immer nur ein ›Klick‹ von sich. Klick, klick, klick . . .«
    »Klick, klack! Und dann hat’s Klick gemacht«, sagte Tommy, stolz auf seinen Einfall. Er grinste und fragte, wie Luise das mit der Emanzipation gemeint habe.
    »Du willst das wirklich wissen, Tommy?«
    »Klar!«
    »Früher haben die Jungs die Schuld für ihre erlittenen Schmerzen fast ausschließlich der nahen Mutter gegeben. Heute geben sie sie auch dem fernen Vater, was es für sie aber nicht leichter macht, weil es in gewissem Maße eine Selbstkastration in Gang setzt.«
    Tommy lachte unbeherrscht auf und setzte sich bequemer hin. »Das klingt aber gar nicht gemütlich.«
    »Nein, es ist harter Existenzkampf. Es geht um den Fortbestand.«
    »Geht es darum nicht immer?«
    »Kann sein.«
    »Glaube ich auch«, sagte Tommy und sah Luise in die Augen.
    Sie nickte und sagte: »Auf keinen Fall wollen die Söhne so werden wie die Väter, die durch Abwesenheit glänzen. Aber sie fühlen, dass sie doch so sind wie die Väter: Sich lieber gar nicht erst den Frauen nähern, um sie nicht zu verletzen, denken die sich, und das ist dann die Selbstkastration. Darum sind viele von ihnen auf Schiffen wie diesem. Weg, raus aus der Welt der Frauen, weil sie meinen, sie würden die Frauen auch nur so verletzen, wie die Väter es mit den Müttern gemacht haben. Wie gesagt, sie kennen die abwesenden Väter kaum, sie kennen oft nur die nahen Mütter und deren Schmerz und Einsamkeit. Sie kennen nur das Leid der Mütter, das sie anderen Frauen nicht antun wollen. Das stille Leiden .«
    »Das stille Leiden«, flüsterte Tommy unwillkürlich.
    Luise nickte, ein wenig irritiert, und fuhr fort: »Diese Männer wollen eigentlich gar keine Kinder zeugen, weil sie ja nicht wie die Väter werden wollen. Also bleiben sie lieber ganz und gar fern, wenn sie können. – Was aber ist heutzutage das Männliche? Was ist

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