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Letzte Fischer

Titel: Letzte Fischer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Harry Altwasser
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hatte, aber anscheinend hatte sich nie jemand um diese wertvollen zwanzig Minuten gekümmert! Doch nun hatte er ja glücklicherweise die Ursache herausbekommen. Pawel konnte nicht anders, er musste sich noch eine Zigarette anstecken.
    Man brauchte den Zug nur in Wien ein wenig früher abfahren lassen, dann war er auch eher in Prag und konnte in Pilsen noch VOR dem ›Istanbuler‹ durch, der aus Paris kam! Die beiden Züge trafen sich zwar in Budweis, aber eben auch schon in Pilsen! Der B – Ber müsste so nicht auf den Ista 1 warten. Zum Wohle der Passagiere, die zwanzig Minuten weniger unterwegs waren. Zum Wohle der ehrenwerten Fahrgäste, meinte Pawel, ein Wohl, welches Pflicht und Ehre eines jeden Reichsbahners sei.
    Der Slowake dachte versonnen an sein Modell des B– Ber , das zu Hause in der Garage stand. Jeden Berg, jeden See hatte er nachgebildet, und nun, endlich, konnte er ihn ohne Unterbrechung fahren lassen. Wie herrlich! Nach den Originalzeiten, jedoch mit VERBESSERTEM Service.
    Was waren die Zeitungen doch damals nicht voll davon gewesen. Es sei von der Türkei schon ein großes Entgegenkommen, dass der Orientexpress die Grenze überhaupt passieren dürfe. So könne man zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit in Paris einsteigen und an der Chinesischen Mauer wieder aussteigen! Dank der Türken!
    Ein unvorstellbarer Service, wenn eben nicht diese zwanzig Minuten für den ›Berlin – Budapester‹ gewesen wären, die doch jeden ehrlichen Eisenbahner damals verrückt gemacht haben mussten. Pawel schüttelte den Kopf über die nutzlose Zeitverschwendung. Es gab eben noch nicht so viele Schienen, das war ja das eigentliche Problem. Was gab es anno sechsundzwanzig schon groß an Schienen in Europa? Wegen dieser beiden Züge war doch schon mit Krieg gedroht worden, dabei lag es die ganze Zeit nur an diesen zwanzig Minuten! Wieder schüttelte Pawel den Kopf, verblüfft und ungemein zufrieden. Die Preußen konnten ihre Würde behalten, musste ihr Zug doch in ›Österreich-Ungarn‹ nur ein wenig früher eintreffen, und die Franzosen mussten nicht brüskiert werden, und die Türken konnten in Ruhe gelassen werden, musste doch so nicht neu mit ihnen verhandelt werden. Staatspolitik! Der verhinderte Reichsbahnangestellte nickte erhaben. So konnte alles reibungslos verlaufen! Niemandem wurde etwas zugemutet. Und ja, so hätte davor auch bestimmt der ganze Erste Weltkrieg verhindert werden können! Der Attentäter von Sarajewo hätte nicht in Budweis umsteigen können, weil der B – Ber sich mit dem Ista 1 erst in Pilsen getroffen hätte, und nicht in Budweis! Und so hätte dieser Attentäter eben jene zwanzig Minuten verloren, die Pawel durch diese raffinierte Überlegung gewann.
    Da lag also der Hund begraben. Pawel hätte jetzt gerne ein frisches, kaltes Pilsener getrunken, während der Funker seine Nachricht durchgab: »Alle zehn Zehen steif – stopp – Betriebsarzt will nicht mehr wegsehen – stopp – Ich liebe dich – doppelt stopp.«
    »Fisch stinkt nicht, kein Fisch, das stinkt«, murmelte Kroatischer Riese , als er an Pawel vorbeiging und sich wenig später auf dem Fangdeck fallen ließ. Im Nu hatte er drei Serien von Liegestützen absolviert, wobei er bei jeder Stütze in die Hände geklatscht hatte. Mit einem einzigen Ruck bekam er das Schott auf und stand wenig später im Kraftraum.
    Er sah den Smutje an, der auf einem Bike schwitzte. Nach dreihundertsechzig Sekunden ging er zu ihm hin und schaltete das Getriebe zwei Gänge höher, während er sagte: »So wird noch mal ein Kerl aus dir! Los, zehn Minuten!«
    Der Smutje wollte protestierten, bekam aber beim Anblick des ernst blickenden Riesen , der ihn anfeuerte, Angst: »Tempo halten, Tempo halten! Optimale Ausschöpfung, optimale Ausschöpfung! Ja, noch drei Minuten, zweieinhalb noch! – Na, bitte, war das so schwer? Gut gemacht!«
    Kroatischer Riese schlug dem Smutje kräftig auf den Rücken, der sich beeilte, heil aus dem Raum heraus zu kommen. Er mochte den jähzornigen Riesen nicht, dessen Lachen ihm noch in den Ohren klang, als er schon längst auf dem Gang war.
    Der Riese zog sich das T-Shirt aus, legte sich das Handtuch ums Genick und fädelte alle verfügbaren Scheiben auf die Stange des Stemmgeräts. An beiden Seiten hingen jetzt hundertfünfzig Kilogramm, und eine Vorfreude erfasste den Riesen , als hätte er gleich Sex.
    Er keuchte auch so, als er die dreihundert Kilogramm Mal um Mal stemmte, und dieses Geräusch war es,

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