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Letzte Fischer

Titel: Letzte Fischer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Harry Altwasser
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einmal leergefischt seien. Konnte das noch lange dauern?
    Sie befanden sich doch in einem der ertragreichsten Fanggebiete, genau auf der Kante zur Tiefsee. Hier tummelte sich der Fisch doch sonst in Myriaden! Der Funker schüttelte den Kopf und wertete erneut die abgehörten Informationen aus. Das Russische verstand er gut, ebenso das Englische, aber beim Japanischen und beim Norwegischen, da begriff er nur den ungefähren Gesprächsverlauf und konzentrierte sich daher auf die Zahlen.
    Niemand wollte den anderen Informationen umsonst zukommen lassen, auf See herrschte ein ewiger Kampf um die stets gleichen Antworten: Wo stand der Fisch? Wer fischte gerade und wie? Wo standen die anderen Trawler, was taten sie?
    Seine Ausbildung zum Stasioffizier kam dem Funker dabei sehr zupass. Er kannte viele Tricks, er hörte mehr als die anderen Funker, obwohl der Russe auch beim KGB gewesen war. Doch das Beste an der portugiesische Fischereiflotte war, dass sie nur schwer von anderen Nationen abgehört werden konnte. Und das war sein Verdienst! Das war seine Idee gewesen!
    Sofort hatten die Verantwortlichen ihn dafür gelobt, und frech gegrinst hatten sie, ehe sie gemeint hatten, Vergangenheit hin oder her, die Zukunft zähle! Und so kam es, dass alle Funker der portugiesischen Flotte Sachsen waren. Sie unterhielten sich über Funk auf Sächsisch, und niemand war da draußen, der das verstehen konnte. Es war das besonders harte Sächsisch, das man um Chemnitz herum sprach.
    Der Funker grinste und sah auf den verdammten Stapel der Privatmeldungen, den er auch abzuarbeiten hatte. Einhundertachtzig Meldungen hatten sich da in vier Tagen angesammelt, die nicht über die internationale Seesicherheitsfrequenz auf fünfhundert Kilohertz Mittelwelle versendet werden durften. Er musste sich mit ›Rügenradio‹ oder ›Norddeichradio‹ kurzschließen, wozu er heute fast eine Stunde brauchte, bis er endlich sagen konnte: »Ja, hier Saudade , Fischereitrawler Saudade , können wir?«
    Und während der Ex-Stasimann Paul E. Sichlewski erst die genaue Schiffsposition durchgab und dann einmal mehr in das Intimleben seiner Kollegen eingeweiht wurde, saß der Slowake Pawel Tocketscha auf dem Oberdeck und sah über die spiegelglatte See.
    Flaute. Flaute und nirgends ein Fang in Sicht. Die gefährlichste Mischung, die es gab. Wie oft hatte er bei solchen Gelegenheiten schon erlebt, dass die Deckleute und Verarbeiter ausfallend wurden und sich prügelten. Zum Glück hatte er sein Hobby mit an Bord gebracht. Zum Glück konnte ihm so etwas nicht passieren.
    Der fast vierzigjährige Vermehler saß vor drei hohen Stapeln mit seitenlangen Listen, die er zum wiederholten Male sorgsam studierte. Auf den Papieren lagen schwere Eisenschäkel und neben ihm ein fast verrottetes in Fraktur gedrucktes Buch, das Kursbuch der ›Deutschen Reichsbahn‹, gültig von Mai sechsundzwanzig bis April siebenundzwanzig. Er schlug es auf und blätterte darin. Weise schüttelte er den Kopf und studierte die Seiten, auf denen unzählige Ankunfts- und Abfahrtszeiten unterstrichen, eingekreist oder durchgestrichen waren. Auf manchen Seiten waren Notizen, die Pawel schon so oft mit seinen eigenen Listen verglichen hatte! Er kam einfach nicht drauf, und das ärgerte ihn mehr als jede Flaute der Welt!
    Plötzlich schreckte er auf und griff sich mit großen Augen an die Brust. Er fand den metallenen Füllfederhalter, der dort in der Hemdtasche steckte, holte ihn heraus, schraubte ihn, die Hülle zwischen den Zähnen, auf und kreiste leise murmelnd eine Zahl ein. War es DIE Zahl? ›Wer weiß, wer weiß‹, dachte er: ›Wer weiß, der weiß!‹
    Er suchte eine seiner Listen heraus und schrieb sorgfältig aber mit zitternder Hand in die Spalte ›Ankunft Pilsen‹: ›17.34‹ Wenig später notierte er in der Spalte ›Abfahrt Pilsen‹: ›18.17‹ Natürlich! Pilsen!
    Tief zufrieden legte er die Notizen weg, obenauf das dicke Kursbuch und die Schäkel, und ging zur Reling. Er steckte sich eine Zigarette an und inhalierte so heftig, dass er hustete. Sollte es DAS gewesen sein? In Pilsen? Hatte der Fehler die ganze Zeit in Pilsen gesteckt? Und er hatte Budweis in Verdacht gehabt! Die ganze Zeit! Scheiß auf Budweis! Pawel stand ganz kurz davor, für seine Modelleisenbahn den originalgetreuen und FEHLERFREIEN Fahrplan aufzustellen. Ihm war der entscheidende Durchbruch gelungen.
    Pawel hatte schnell begriffen, dass der ›Budapest – Berliner‹ immer gewisse Zeitprobleme gehabt

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