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Letzte Fischer

Titel: Letzte Fischer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Harry Altwasser
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zu und rannte nervös durchs Schiff. Also, ihn machten diese fanglosen Tage ganz sicher verrückt. Dafür war er doch nicht auf dieses stinkende Schiff gekommen! Er wollte Geld verdienen, schnell viel Geld! Doch ohne Fisch kein Fang, und ohne Fang kein Geld.
    Er klopfte an ein Schott und hörte wenig später: »Komm rein, Ismael!«
    Der Junge ging in die Einzelkabine des Vorarbeiters der Vermehler und grüßte den alten Mann, während der Funker seine Botschaft durchgab: »Gut geht’s – stopp – Allah hält seine Hände über mich – stopp – Wir halten hier alle zusammen – doppelt stopp.«
    Der Funker nickte, meinte, dies stimme, und nahm sich den Spruch des Knirschenden vor: »Mit den Teppichen habe ich schon fast tausend Euro verdient – stopp – Flaute tut gut – stopp – Wenn wir übermorgen ausgeflogen werden – stopp – Haben wir Zwischenhalt in Cadiz – stopp – Da gibt’s wieder jede Menge verrückter Touristen – doppelt stopp.«
    »Und, Väterchen ?«, fragte Ismael und setzte sich auf die Koje. Er sah Iwan Iwanowitsch zu, wie er vorsichtig die Platte vom angeschraubten Aquarium nahm und den Zierfischen langsam und verträumt Futter ins Wasser streute.
    »Leise, mein Junge, leise!«, antwortete er nach einer Weile und sah Ismael mit strahlendem Blick an, der sofort verstand und seine Glückwünsche aussprach.
    Verbotenerweise tranken sie einen Schluck vom Wodka, den Väterchen selbst angesetzt hatte. Sie hockten sich rücklings auf die einzigen beiden Stühle und sahen ins Aquarium.
    »Da!«, flüsterte der Nordrusse: »Vater Toika hält sich ein wenig abseits, siehst du? Mutter Anna führt die Frischgeburten an. Da, zuerst Micha, dann Ludmilla, da, da, da, und der, der immer ausschert, das ist Frankowitsch Alexander Maximilian, der wird nämlich die Erbanlagen weitergeben. Der wird sich als Erster mit dem alten Toika anlegen. Und am Ende Lola, Loli und Lolo. – So, nun ist aber genug geguckt, nun machen wir wieder dicht. Die Kleinen brauchen noch Ruhe!«
    Ismael ließ sich von Väterchen wegdrücken, der nach und nach vier Tücher über das Becken legte, nachdem er die Metallplatte wieder auf die Glasränder geschraubt hatte. Der Alte schaltete das künstliche rötliche Licht ein, nahm die Wodkaflasche und verließ seine Kabine zusammen mit dem Jungen. Von außen klebte er ein Pappschild mit der Aufschrift ›Nicht stören!!!! Frischgeburt!!!!‹ an die Tür.
    Iwan Iwanowitsch streckte sich ausgiebig auf dem Längsgang, während Ismael sich von ihm verabschiedete und ungeduldig weiterlief. Er hörte Väterchen noch rufen: »Mach dir nichts draus! – Bald bist du auch Papa! – Nur Träumer schlafen einsam!«
    Väterchen nahm noch einen Schluck Schnaps, ehe er die Flasche in seinem langen, weißen Bart versteckte. Er hatte eigens zu diesem Zwecke einige lange Barthaare zusammengedröselt und diesen Tampen mit einer Schlaufe enden lassen. Es war ein Knoten, mit dem man die Schlaufe bequem auf- und zuziehen konnte, und da ihm der Bart, den er während der Arbeit hochband und unter der Mütze versteckte, bis zu den Oberschenkeln reichte, konnte man die Flasche jetzt unmöglich sehen. Während er aufs Oberdeck stieg, spürte er, wie sie wankte, und ging noch langsamer.
    Über die Bordlautsprecher wurde bekannt gegeben, dass in einigen Minuten ein Volleyballturnier stattfand. Spielort: Fangdeck. Alle wachfreien Männer waren aufgerufen, mitzumachen. Gespielt wurde nach dem Ausscheidungsmodus. Hauptpreis: ein Karton russischer Champagner. Lächelnd winkte Väterchen ab und betrat das sonnenüberflutete Oberdeck. Lange musste er die Augen schließen, und lange musste er blinzeln, um wieder sehen zu können. Was waren das doch für aufregende Stunden gewesen! Und was die Anna alles geboren hatte! Glücklich sah Väterchen auf die See, während der Funker seine Grußbotschaft losschickte: »Frischgeburt! – stopp – Siebenlinge! – stopp – Das ist ein schöner und glücklicher Tag! – doppelt stopp.«
    Kanadier lag in einem Liegestuhl auf der Nock der Trawlbrücke und hatte, versteckt hinter der Schanzverkleidung, Väterchen zugesehen, wie dieser die Flasche heimlich aus dem Bart gezogen und schnell einen Schluck getrunken hatte. Er hatte so glücklich ausgesehen! Kanadier hatte nichts gerufen, was kümmerte ihn das? Sollte der Alte doch weiterhin glauben, niemand an Bord wüsste etwas vom Geheimnis seines Bartes und warum er ihn über dreißig Jahre hatte wachsen lassen. Er sah dem

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