Letzte Fischer
machen – doppelt stopp.«
Der Kapitän ging vom Fischradar weg, stieg aufs Dach der Brücke und suchte mit dem Seestecher das Meer ab. Wo war das Kräuseln, das einen Schwarm verriet? Wo waren die Katzenpfötchen ? Er wusste, der Fisch war da, er war vor ihnen, der Mann wusste es wie die anderen Männer auch, aber wo, wo genau? Er las in der See. Er kannte alle Farbnuancen, er konnte eine Sandbank von einer Untiefe und eine Untiefe von einem Schwarm unterscheiden, er war doch schon so lange Zeit Fischer! Ihm machte doch kein Fischschwarm der Welt mehr etwas vor!
Und während der Kapitän versuchte, den Spiegel der See mit den Augen zu durchdringen, ließen sich uralter Richard und Robert die Messer schleifen, bevor sie sich wieder in den Schatten einer Rettungsinsel setzten.
»Ja, ja, der alte Richard und die Junge Garde !«, sagte uralter Richard , und Robert Rösch schalt sich im Stillen einen Narren, sich neben den Alten gesetzt zu haben. Wie oft hatte er dessen Geschichte nicht schon gehört! Viel zu oft, aber nun war es zu spät, um sich dünne zu machen. Er nickte und hörte den Alten erzählen: »Der uralte Richard , was ich bin, der war ja schon beim Stapellauf dieser Saudade dabei. Damals hieß sie noch Junge Garde und war mit ihrem Schwesterschiff, der Jungen Welt , das Prunkstück der Fischereiflotte eines Landes, das es schon lange nicht mehr gibt. DDR, wird dir nichts sagen. – Es war der prachtvollste Stapellauf seit dem Krieg, und selbst aus Amerika kamen die Spezialisten, um sich die Junge Garde anzuschauen! Und die Sowjets waren neidisch, das kannst du dir nicht vorstellen. Ja, war der deutsche Erfindergeist mal wieder an der Weltspitze! Kamerateams aus Nordamerika waren an der Südküste der Ostsee! Wegen uns. Einundzwanzigster April siebenundsechzig, da hat der Vorsitzende unseres kleinen Landes selbst die Sektflaschen gegen die Außenwand der beiden Trawler knallen lassen. Seit diesem Tag bin ich an Bord! Ich bleibe dem Schiff treu, egal, wie es gerade heißt! – Die winzige DDR besaß auf einmal das größte Fischereischiff der Welt! Und gleich zwei davon! Das kleine Hafenbecken von Wismar hatten sie ausbaggern müssen, die vorgelagerte Insel Poel hätte eigentlich weggemusst, aber spreng mal eine Insel weg! Das wollten wir nicht, wir wollten nicht mit Poel umgehen, wie die Briten mit Helgoland. – Geschaukelt hat der Pott bei Windstärke zehn, Böen elf, aber er kam gut unten im Wasser an. Elftausend Männer, die am Schiff mitgearbeitet hatten, hielten den Atem an, doch der Stapellauf ging gut. Da konnte nicht mal so ein Frühjahrssturm was ausrichten. – Bisher gab es zwanzig Besatzungsmitglieder auf einem Fischverarbeiter, jetzt waren es hundertachtzig! Dieses Fang- und Verarbeitungsschiff war eine ganze Fabrik für sich, ach was, zwei Fabriken! Ein Kombinat! Fast zweihundert Mann pro Schiff auf der Jagd nach dem Kabeljau, dem Hering, dem Heilbutt und dem Thunfisch. – Uns kamen die Längsgänge damals so breit wie Hotelgänge vor. Weißt ja, man kann hier bequem zu viert nebeneinander herlaufen! Zu viert! Und die Kammer des Dritten Offiziers lag zwanzig Meter über der Wasseroberfläche, und der war nur der dritte Offizier! Bei ihm war ich mal drin. Er hatte eine Dusche für sich allein, einen Kartentisch unterm Bullauge, die Kammer hatte einen kleinen Flur und dieser eine Extranische fürs Ölzeug. – An Bord gab es über hundert Standorte für Feuerlöscher! Mit Äxten, Schläuchen, Stahlrohren und Atemmasken! Heute sind es ja nur noch vier Standorte, ich sag dir, so wird der Kapitalismus auch nicht überleben! Mit vier Standorten für Feuerlöscher, wo doch hundert nötig sind! Und damals hatte darüber hinaus noch jeder seine eigene Atemschutzmaske, seine persönliche! Geblieben sind die zwölf Stunden Schicht. Gebückte Haltung am Fließband, Kälte, künstliches Licht, weißt du ja, was ich meine. – Damals dauerte es zwei Wochen, bis der Proviant verladen war. Mit Güterzügen kam das Zeug nach Wismar. Waggonladung um Waggonladung, immer rein in den hungrigen Bauch des Schiffes. Weißt ja, Kinder haben immer Hunger. Jetzt waren keine zwei oder drei Wochen auf See angesagt, jetzt ging es um Monate! Zehn Monate ununterbrochen auf See. Diesel und Fressalien kamen von russischen Versorgern. Der gefangene und geschlachtete und verpackte Fisch wurde auf unsere kleinen Versorger verladen, die damit ab nach Hause marschierten. – Und eines kann ich dir sagen, beim Anblick der
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