Letzte Fischer
fast vierhundert Mann waren, war es ausweglos für die Junge Garde . Der Kapitän hatte an die Küstenfunkstellen gesendet: ›Erbitte Hilfe durch Eisbrecher.‹ Die Kanadier von St. John’s ließen ausrichten, sie hätten keine. Glatte Lüge, wie sich später herausstellte, aber war halt Kalter Krieg damals! Pech! War wirklich kalt. – Den ganzen Tag über fügte die Eispressung dem Rumpf immer mehr Einbeulungen zu. Das Wetter verschlimmerte sich. Schneestürme fegten übers Oberdeck. Heizung fiel aus. Lenzeinrichtung musste zeitweise abgestellt werden. Vierzig Grad minus, trotzdem wurden die alten und neuen Lecks von uns immer wieder abgedichtet, von innen und außen! Der Kapitän forderte Hubschrauber an, die ersten Besatzungsmitglieder wurden aufs Eis gebracht. Wir hatten ja viele Frauen an Bord. Damals bestanden die Verarbeitungsabteilungen fast nur aus Frauen! Die waren viel flinker, aber jetzt waren wir alle am Arsch. Es war nichts mehr zu machen. Einige von uns würden krepieren, wurde uns klar, nur: Wer? Kein Ausweg mehr, alles versucht, alles verloren, als so ein verdammter Funkspruch aus Kanada kam: › Kalter Krieg hin oder her, unsere Eisbrecher sind auf dem Weg! Seemänner halten zusammen!‹ Das war der Wortlaut, und wir waren am Heulen! Scheiße, mir kommen immer noch die Tränen. – Um acht Uhr fünfundvierzig kam das Schiff von selbst in eisfreies Gewässer, wir konnten es künstlich um zwölf Grad krängen und Lecksegel setzen. Zehn Uhr vierzig gelang endlich eine Schleppverbindung. Die Heinz Pries war es. Bei Windstärke sieben, Westwind. Das Lecksegel riss noch einmal, wurde aber schnell wieder geflickt, als unser Kapitän den Funkspruch abgab: ›St. John’s, Eure Eisbrecher kommen zu spät!‹ Der verdammte Sachse machte doch tatsächlich eine Pause von drei Minuten, ehe er der westlichen Welt bekannt gab: ›St. John’s, wir haben uns selbst geholfen! Die Eisbrecher können abdrehen!‹ Auch die meisten anderen Schiffe drehten ab, nur unsere Schwester blieb. Sie schleppte uns sechshundert Seemeilen durch orkanartige Stürme nach St. John’s, und einmal wurde es noch knapp, als die Junge Garde nach steuerbord gefährlich überkam. So hätte sie dann auch die Junge Welt mit sich in die Tiefe gerissen, aber der junge Pott richtete sich wieder von alleine auf. War eben nicht in Dingsda wie die Titanic gebaut worden! Ha! – Achtzehnter März achtundsechzig legten wir an und liefen wie die Wiesel in die erstbeste Kirche! Dreizehn Schiffe haben Hilfe geleistet, und du sagst immer, diese Zahl taugt nichts! ROS dreihundertsiebzehn wurde durch den kameradschaftlichen Einsatz von ROS dreihundertsechzehn, dreihundertvier, dreihundertzehn, dreihundertelf, vierhunderteins, vierhundertvier, vierhundertfünf, vierhundertsechs, vierhundertzehn, vierhundertdreizehn, vierhundertfünfzehn, vierhundertsiebzehn und vierhundertneunzehn gerettet. – Gerettet! – Ja, so war das, aber angefangen hatte die Sache ja schon am siebten Februar neunundvierzig, da war die DDR gerade mal gegründet worden, als uns auf der Insel Dänholm vor Stralsund die ersten zwölf Siebzehn-Meter-Kutter übergeben wurden. So konnte die Fischerei bei uns wieder anfangen, obwohl der volkseigene Betrieb ›Ostseefischerei‹ sich noch im Aufbau befand. – Und dann kamen sie aus der ganzen Republik zusammen, die Ungelernten, die Abenteurer, die Schieber, um sich den ›Traum vom Meer‹ oder den ›Traum vom schnellen Geld‹ zu erfüllen. Bloß vom Fischfang hatte niemand Ahnung. Die alten Fischer waren mit ihren Kähnen alle im Westen, wollten ihre Schiffe nicht in Volkseigentum übertragen. Falls sie die überhaupt noch hatten, die meisten waren ja im Krieg zerstört worden. – Und bei jedem Turn fuhr ein Sowjetsoldat mit, der mit der Kalaschnikow am Bug saß und darauf aufpasste, dass man sich nicht selbst bereicherte. – Saßnitz, da war ja auch alles kaputt. Hatten wir alles erst aufbauen müssen. Fünfzig, einundfünfzig war das. Die Eröffnung des Lehrlingswohnheims war eine große Sache gewesen! Da kam endlich wieder Leben in die Bude, und von der Zukunft konnte man was ahnen. Wenn erstmal wieder die Jungen da sind, dann ist das Gröbste geschafft! Kannste leicht begeistern, aber nur schwer besiegen, die Jungen. Inbetriebnahme der Fischhalle, Produktionsbeginn in der Eisfabrik, dann in der Fischmehlfabrik, Aufnahme der Konservenproduktion, Schlag auf Schlag ging das, bis dann die ersten Vierundzwanzig-Meter-Kutter kamen,
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