Letzte Fischer
nein, was haben wir die Brust rausgestreckt da oben auf Rügen. Die Qualifizierten waren alle im Westen, aber wir haben da trotzdem was hinbekommen. – Als im Februar zweiundfünfzig der Fischkutter SAS siebenundsiebzig bei Dranske strandete, ermittelte das Seegericht, dass die Besatzung aus einem Gärtnerlehrling, einem ehemaligen Arbeiter einer Spielwarenfabrik und einem Ex-Kraftfahrer bestand. So fing das Abenteuer an, aber es blieb nicht so. Die ersten Heckfänger der Flottille der DDR wurden auf der nagelneuen Werft in Wismar gebaut, so vor achtundfünfzig, und die Wismarer Werft, die war damals Weltspitze, und sie war immer einen Tick besser als die in Danzig! Immer! – Die beiden Fischbetriebe in Rostock und Saßnitz fischten achtundfünfzig siebzigtausendsiebenhundert Tonnen Fisch. Trotz allem zu wenig! Ende der Kutter- und Loggerfischerei, Jungfernfahrt für den ersten Heckfänger war der dritte April sechzig: ROS dreihunderteins Bertolt Brecht . Das war unser erstes über Heck fangendes Schiff, wobei der Fang dort dann gleich unter Deck verarbeitet wurde. Bis sechsundsechzig kamen noch zwölf hinzu, alles Dichter von uns: Johannes R. Becher , Friedrich Wolf , Erich Weinert , Louis Fürnberg , F.C. Weißkopf , Peter Nell , Walter Dehmel , Bernhard Kellermann , Peter Kast , Rudolf Leon-hard , Bodo Uhse und Willi Bredel , kenne ich alle noch. Alle mit ganz neuer Fangtechnik ausgestattet. Aussetzen und Einholen der Netze vollautomatisch! Be-und Verarbeitung des Fangs unter Deck zur Gänze! Witterungsunabhängig! Köpf-, Filetier-und Enthäutungsmaschinen, von uns erfunden! Fangen war getrennt vom Verarbeiten, dank der Lagermöglichkeiten mit Eis! Eisproduktion auf dem Schiff! Diese Gefrieranlage holte alles auf zwanzig Grad minus runter und hielt es dort! Zum ersten Mal in der Geschichte der Fischerei wurde ein Fang völlig verwertet! Das haben wir erfunden! Samt Beifang, alles verwertet! Keine Abfälle! Dank der neu erfundenen Fischmehlanlagen, erfunden von uns! Aber unser Prunkstück war die Leberölerzeugung. Absolutes Weltniveau! Alles transportierbar und flexibel einsetzbar. – Und an den Packtischen fast nur Frauen. Das war ein Leben! – An Oberdeck ging es am modernsten zu. Das Netz mit einer Winde über Heck an Bord zu holen, das dauerte nur noch eine dreiviertel Stunde. Und nur noch sechs Mann waren dafür nötig. Ständig war ein Reservenetz samt Rollgeschirr klar an Deck und konnte bei Netzschaden innerhalb von Minuten ausgetauscht werden. Wenn der Fisch da war, dann war er eben da. Zeitverlust: null! – Neunzig Mann Besatzung, neunzig Tage auf See, klar gab es auch Kinderkrankheiten, die wurden eben abgestellt und fertig! Die Sache mit den Scheerbrettern auf der Fürnberg zum Beispiel. Oder die Sache mit dem Spillknopf an der Kurrleinenwinde. Oder, als wir feststellten, dass wir mehr fingen als wir einfrieren konnten, weil die Froster alle Tage mal abgetaut werden mussten, da haben wir die Bandgefrierapparate und die Rotationsfroster erfunden! Erfinden war unsere Leidenschaft! Damals und bis zum Ende . . .«
»Komm zum Ende, alter Mann!«, sagte Robert: »Es geht bald los!«
»Ja, klar. Gleich. Weißt du, pro Reise haben wir fast sechzigtausend Tonnen Filets gemacht, und so ein Hecktrawler war fünf Mal im Jahr auf See. Aber dann haben wir die pelagische Einschiff-Schleppnetz-Methode eingeführt, weil wir ja Mäuler stopfen mussten! Und dreiundsiebzig war noch einmal eine große Stunde der DDR-Fischflotte, weil da zum ersten Mal in der Geschichte der Fischerei eine ganze Besatzung ausgetauscht wurde, wobei das Schiff auf See blieb. Das war auf der Weißkopf . – Dann kam die Zeit der Frosttrawler, dreiundzwanzig Meter langes Fangdeck, das war was. Fernbediente Vier-Trommel-Netzwinde. In nur zwei Hieven ging das Netz vollautomatisch an Deck. Haben wir erfunden, eben mal so. – Aber bei der Wende, da gab es nicht einmal einen Dank. Diese verdammte ›Treuhand‹ hat alles auseinandergerissen und verschrottet und verkauft, dabei war unsere Fischereiflotte tadellos! Weltniveau bis zum Schluss, aber im Westen Deutschlands hatten sie eben Angst vor der Konkurrenz, und am Ende diktiert der Sieger immer dem Besiegten. Die gute, alte Ludwig Turek wurde einundneunzig zur Ming Zhu , die Eduard Claudius zweiundneunzig in Bilbao verschrottet, Ehm Welk wurde Ming Chang , Arnold Zweig einundneunzig in El Ferrol verschrottet, Hans Marchwitzka und Bruno Apitz per Charter und Joint Ventures nach Nachodka,
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