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Letzte Fischer

Titel: Letzte Fischer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Harry Altwasser
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warm werden ließ, bevor sie ihn in die Ostsee warf. Er kannte die Frauen eben immer noch nicht. Mathilde warf einen zweiten Stein, der viel weiter draußen landete. Sonst würde er ja wissen, dass für eine Frau nichts unwiderruflich war. Und noch einen Stein nahm sie, den bisher größten des Strandspaziergangs. Sie umfasste ihn mit beiden Händen, drehte sich um sich selbst und wuchtete ihn ins flache Wasser. Wellen spritzten auseinander, und dann lag er da, dieser große Stein: Mitten im Wasser brach er die Wellen wie ein Findling.
    Sie blieb nicht stehen an diesem frühen Nachmittag. Sie beide hatten die Kohlrouladen schweigend gegessen, und Mathilde glaubte da schon, Robert habe ihren Vorschlag vergessen. Oder verdrängt? Männer seien Meister der Verdrängung, meinte sie, würde sich aber eines Besseren belehren lassen.
    Robert ging jetzt ein paar Meter vor ihr, passierte die Stelle, an der sie mit Luise immer das Steilufer hochkletterte, um sich auf die verwitterte Holzbank zu setzen, doch Robert verlangsamte nicht einmal seinen Schritt. Kurz darauf sprang er über das kleine Delta des Baches, der sich in der Ostsee verlor. Unbeholfen hatte er Anlauf genommen, musste dann aber doch einen Fuß ins Süßwasser setzen, um es zu schaffen. Sie hörte ihn fluchen und lächelte.
    Ohne sich umzudrehen, marschierte er auf Heiligendamm zu, und ihr blieb nichts anderes übrig, als ihm zu folgen. Sie versuchte erst gar nicht, zu springen. Mathilde ging durchs Delta, trat auf nasse Steine, die unter ihrem Tritt wegrutschten, ein Geräusch, das sie an etwas erinnerte. Woran? An etwas Erhabenes. Das Geräusch rutschender Steine?
    Sie drehte sich noch einmal um, sah auf ihre Abdrücke, in denen sich sofort Wasser sammelte, und blieb einen Moment stehen. Ein altes Geräusch, auf jeden Fall ein sehr altes! Robert? Hatte es etwas mit Robert zu tun? Es fiel ihr nicht ein. Egal! Mathilde kniete sich hin und dachte zurück: ›Du hast es mir versprochen. – Du hast es mir versprochen. Sicher. Ja. Natürlich. Ich weiß, dass ihr Seeleute euch an solchen Sätzen festhaltet. Ohne sie würdet ihr wahrscheinlich die eine oder andere Arbeitssituation gar nicht überleben. Sicher. Ja. Natürlich. Treue, Versprechen halten, Vertrauen, ich weiß, dass man euch Fischern das Fundament entzieht, wenn man eine dieser drei Zutaten verdünnt. Ja. Sicher. Verdammt. Aber. Trotzdem. Das Leben ist doch kein langer, ruhiger Fluss. Es gibt nun mal keine Flüsse ohne Wasserfälle! – Aber ein Seemann weiß davon natürlich nichts. Er ist ja nie in den Bergen gewesen. Ein Seemann hört immer nur die Mündungen plätschern.‹
    Sie schreckte zusammen, als Robert ihr die Hand auf die Schulter legte und sagte: »Ich warte da hinten schon eine ganze Weile auf dich, aber du scheinst hier ja was mächtig Interessantes gefunden zu haben?«
    »Nur meinen Schuhabdruck, gefüllt mit Wasser.«
    »Na, komm. In Heiligendamm wartet eine Tasse Glühwein auf uns. Im Café vor dem Hotel machen sie ihn doch immer mit einem Schuss guten Whisky! Wie heißt es noch? – Mein Gott, wird es in diesem Mai denn gar nicht mehr warm?«
    »›Zum goldenen Anker‹!«
    »Richtig! Und der Wirt? Dieses Original? Wie heißt der noch?«
    »Mein einer Schuh ist nass«, sagte sie. »Der hat ein Leck!«
    Robert nickte, nahm seine Frau in den Arm und drehte sich mit ihr in den Wind, um weiter nach Westen zu spazieren. Sollte er sich so eine Fischfarm ansehen? Aber ums Ansehen ging es ja gar nicht. Dann käme ja nur der nächste Schritt, die nächste Bitte, vorgetragen als Vorschlag. Oder andersherum, was für ihn schlimmer war: der Vorschlag, versteckt in einer Bitte. ›Wie sie mit Ausrufezeichen bitten kann‹, dachte er: ›Unglaublich.‹
    »Ich mag das Märchen ›Vom Fischer und seiner Frau‹ nicht«, sagte er leise.
    »Wer mag das schon«, sagte sie.
    »Weißt du warum? Weil es kein Märchen ist.«
    Sie hatten ihren Glühwein an der Theke des Cafés getrunken, obwohl der Gastraum leer gewesen war, und Mathilde hatte sogar ihren Schuh trocknen können. Der Wirt hatte ihnen die neuesten Skandale erzählt. Willy, der Wirt. Das Hotel solle in zwei Wochen versteigert werden, und einen Investor solle es auch schon geben. Der wolle daraus einen Friedhof mit Meerblick machen. Für die Haustiere von Milliardären. Ein Scheich habe schon angefragt, ob dies auch für Elefanten gelte.
    Willy hatte gelacht, doch sein Blick war ernst geblieben, als er hinzugefügt hatte: »An wen soll ich dann

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