Letzte Fischer
Tanker erhob, dessen Reeder die Rostocker Hafengebühr zu teuer war, rollten die Einwohner gerade die letzten Lichterketten ein. Arm in Arm gingen die Röschs durch das kleine Tor in der Hecke auf ihr Grundstück, und als sie sich wenig später im Doppelbett ausstreckten, tasteten sie beide noch schnell nach dem ›Ohropax‹.
Wochen gingen ins Land, und sorgfältig vermied Mathilde das Thema ›Fischfarm‹. Sie kannte ja die erste Regel der Seemannsbräute: ›Wenn man mit einem Seemann zusammenlebt, darf man nie versuchen, ihm die Seefahrt auszureden.‹ Eine zweite Regel gab es nicht.
Dennoch, die Hoffnung war in diesem Fall der Zweifel, der an ihr nagte, die Frage nämlich, ob Robert überhaupt ein Seemann sei oder ob er nur gern zur See fahre.
Darüber hatte sie sich noch keine Gedanken gemacht, doch nun wurde ihr diese Frage immer dringender. Er hatte davor ja schließlich im Büro des Theaters Vorpommern gearbeitet, dann hatte er fast fünf Jahre an der Universität studiert. Jetzt fuhr er zwar aufs Meer hinaus, um den Fisch zu jagen, aber vielleicht konnte dieses ›Jetzt‹ ja auch ein Ende haben? Sie wusste einfach nicht, wie sie es anstellen sollte. Die Gefahr war groß, dass er einwilligte, an Land zu bleiben, um es ihr recht zu machen, aber, bitteschön, was wäre das für eine Ausgangslage für die Zukunft? Bestimmt sähe Robert dann nicht nur grimmig aufs Meer, wenn er sich allein glaubte, bestimmt liefe er dann ständig mit so einem Gesicht herum, glaubte Mathilde. Sie wusste, einmal werde sie das Thema noch anschneiden müssen, aber es lagen ja noch vier Wochen gemeinsamer Zeit vor ihnen. Sie wolle ihm die Idee, an Land Fischwirt zu werden, kurz vor der Abfahrt einimpfen, damit das Serum dann auf See genug Zeit zu wirken habe. Irgendwie, ja irgendwie war sie eben eine Seemannsbraut geworden. Sie erkannte plötzlich, sie müsse mit der See zusammenarbeiten, um etwas bei ihrem Seemann zu erreichen. Mathilde lächelte, wurde euphorisch, während sie weiter die Kartoffeln schälte. Die Frage sei nur, was die See als Gegenleistung haben wolle. Und auf einmal kam ihr das Erreichen ihres Ziels gar nicht mehr so unwahrscheinlich vor. Nicht der Fischer müsse zum Meer gehen, um mit dem sprechenden Fisch zu verhandeln, die Frau des Fischers müsse es tun! Sie musste mit dem Meer über ihren Mann verhandeln. Mathilde viertelte die Erdäpfel und warf sie so beschwingt in den Kochtopf, dass Wasser herausspritzte. Was konnte sie dem Meer anbieten? Das war die einzige Frage, die sie sich noch beantworten musste.
Doch eigentlich kannte sie die Antwort schon. Sie wollte sie sich nur noch nicht eingestehen. Kaum wagte sie es, sie zu denken, so unverfroren war sie.
»Was lächelst du denn so hübsch?«, fragte Robert, als er von der Terrasse in die Küche kam und sich auch ein Schälmesser griff.
»Nichts. Sind schon genug geschält«, sagte sie.
»Umso besser«, sagte er und legte das Messer wieder weg: »Weißt du, es ist eine schöne Gabe, immer genau dann auf der Bildfläche zu erscheinen, wenn die Arbeit erledigt ist. Dann kann man so schön bedauernd sagen: ›Das tut mir jetzt aber leid.‹ Tja, mir tut’s leid!«
»Macht nichts!«, sagte Mathilde, die gerade an den letzten Details ihres Plans arbeitete. »Macht gar nichts. Du kannst die Rindersteaks mal aus dem Biersud nehmen, aber nichts von abtrinken, ja? – Da wird Soße draus.«
Nach weiteren zehn Tagen hielt sie endlich das Raster aus der Ukraine in der Hand, das sie per Nachnahme bestellt hatte. Das Paket war drei Mal aufgebrochen worden, vier Klebebänder mit unterschiedlichen Zollaufschriften prangten auf dem alten Zeitungspapier, in das es gewickelt war. Mathilde versuchte, die kyrillischen Buchstaben zu entziffern, konnte aber nur ›chleb‹ und ›malako‹ lesen.
»Was ist das?«, fragte Robert.
»Das ist das altmodische Raster, mit dem ich den guten Stagg maßstabgetreu auf Plakatformat kriege. Du weißt doch, der Papierschnitt, den ich fertig machen will, wenn du wieder auf See bist.«
»Da bin ich dann aber mal gespannt.«
Ohne sich das Raster groß anzusehen, legte sie es ins obere Fach des Flurschranks und meinte, sie könnten ja einen Ausflug machen.
Robert nickte und fragte: »Nächste Woche? Montags passt es mir immer ganz gut! Da hab ich Elan!«
Statt einer Antwort warf Mathilde mit einem Sitzkissen nach ihm und sagte: »Fauler Hund, ich meine jetzt!«
Auch er lachte: »Wohin?«
»Kein Ahnung! Was meinst du, vielleicht
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