Letzte Fischer
Treffen der ›G8‹ der Region einen wirtschaftlichen Aufschwung bringen könne?
Nö.
Warum nicht?
Die Demonstranten haben das ganze Getreide zerlatscht!
Sei das so ein großer Schaden?
Und ob! Man hätte das Treffen im September machen sollen! Machen müssen! Dann wären die Felder leer gewesen. Und übersichtlich! Der Staatssicherheit wäre so ein Fehler nie passiert, niemals! Aber ihn frage ja keiner! Ob die nette Dame vom Fernsehen Interesse an einem Stück des berühmten Zaunes habe? Ein paar Zentimeter seien ihm gerade zum Verkauf angeboten worden.
Robert und Mathilde schüttelten den Kopf. Was für Zeiten! Und heute?
Über ihnen befand sich zwar noch immer das Schild mit der Aufschrift ›Seebad Heiligendamm‹, nur vom Meer aus zu sehen, aber hier legte schon lange kein Ausflugsdampfer mehr an. Hier sei es leer, meinte Robert wieder, Aufschwung sehe anders aus.
Sie umarmten sich, küssten sich, und Robert flüsterte: »Nun bin ich erst mal fünf Monate hier!«
Kaum hatte Robert sich ein wenig erholt, waren auch schon wieder sieben Wochen vergangen. In dieser Zeit waren sie nirgends hingefahren. Sie waren in ihrem neuen Heim geblieben, das ihnen noch immer ein wenig fremd vorkam, und hatten vom Nordbalkon aus auf die vielen Touristen geschaut, die sich während der Sommerferien morgens von der Ferienanlage hin zum Strand bewegten. Und abends zurück. Ein Strom, der sich gemächlich hinzog, und was da nicht alles geschleppt wurde! Aufgeblasene Gummiboote, meterhohe Windschutzvorrichtungen, quengelnde Kleinkinder und ungeduldige Schulkinder; Robert und Mathilde sahen sich das Treiben gelassen an und hielten sich im Schatten des Sonnenschirms. Sie grüßten stumm zurück, wenn der eine oder andere Dorfbewohner seinen Hund durch die Masse zog, doch die armen Hunde waren zumeist viel zu aufgeregt, um ihr Revier zu markieren. Ständig lag Bratenduft in der Luft, immer wieder kamen Kinder angelaufen, und was nicht alles auf der Festwiese zurückblieb, die sich ein wenig nach rechts hin versetzt zwischen dem Steilufer und dem Grundstück der Röschs ausbreitete.
Auch während der Sonnenwende waren sie lange auf dem Balkon geblieben. Es war schon dunkel geworden, das riesige Lagerfeuer, in das ganze Baumstämme geworfen wurden, verlockte so manchen Kapitän eines Frachters, vom Horizont aus Lichtsignale zu geben, und selbst in Kühlungsborn und Warnemünde sah man das heidnische Feuer lodern.
Die Ostseeküste erstrahlte in der Nacht des längsten Tages des Jahres durch die Unmengen von Freudenfeuern, als Mathilde und Robert sich erhoben, um sich auf dem Festplatz zu zeigen. Sie hatten die ganze Zeit im Dunkeln gesessen und gewartet, bis der Großteil der Touristen gegangen war.
Und mit den Röschs kamen nach und nach auch die anderen Dorfbewohner, um wie zufällig beim Bierwagen stehen zu bleiben und mit großen Augen zu fragen: »Na?«
Als Antwort erhielten sie einen Plastikbecher frisch gezapftes Bier, den sie gerne annahmen. Noch lange loderte das Lagerfeuer in ihren Pupillen. Die Festbänke standen weiter im Halbkreis ums Feuer, dahinter gewann das Wasser der Ostsee allmählich wieder an Farbe, und nach und nach lebten in der Morgendämmerung auch wieder Gespräche leise auf, wobei sich zuerst die letzten Touristen meldeten, die sitzen geblieben waren, zumeist Männer, und sich nun gleichzeitig frei und geborgen fühlten. Sie stellten keine Fragen über den Ort oder die Gegend, über die Vergangenheit oder Zukunft, an diesem Morgen gab es auf der Festwiese des alten Fischerdorfes nur Erinnerungen an Lagerfeuer. Aus der Kindheit, aus der Jugend oder aus den vergangenen Tagen, nach und nach steuerte jeder der Anwesenden eine Geschichte über ein Lagerfeuer bei, und als Mathilde an der Reihe war, erzählte sie kurzerhand Willys Geschichte vom ›Strandgut‹.
Es wurde weise genickt, und der Besitzer des Bierwagens stand auf und spendierte eine Kiste ›Feiglinge‹, als die ersten Kinder kamen, um die Männer zum Frühstück zu holen.
Seufzend erhoben sich die Touristen. Dann stöhnten auch die Einheimischen auf und erhoben sich. Sie zogen die kohlenden Baumstämme auf die feuchte Wiese, traten die Glut aus, verschlossen die gemieteten Autoanhänger, in denen sich Losbude, Schießstand, Bratwurstbude und Bierbar befanden, und holten die Autos, während Mathilde und Robert mithalfen, die Festbänke und Festtische zusammenzuklappen und aufzustapeln.
Als die Sonne sich am Horizont hinter einem ankernden
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