Letzte Fischer
etwas verkaufen?«
»Dir fällt schon etwas ein!«, hatte Robert gesagt: »Dem schlauen Willy fällt immer was ein! Der schlaue Willy hatte hier nach der Wende als erster ein Geschäft! – Vergiss das nie! Noch vor den anstürmenden Westdeutschen hatte Willy hier sein Softeisgeschäft.«
»Ja, das schon. Eigentlich müsste ich mich nur nach den Lieblingsgetränken dieser verwöhnten Tiere erkundigen und dann einen Vertrag mit den Herrn Milliardären machen, dass die Kadaver jede Woche was davon aufs Grab kriegen. – Eigentlich ein leichter Job! – Muss mir nur das Patent sichern und die alleinige Hoheitsgewalt im Umkreis von zehn Kilometern!«
»Nimm lieber zwanzig!«, hatte Mathilde gesagt: »Kostet genauso viel, ist aber mehr wert.«
Willy hatte genickt. Er hatte sie bis zur Tür gebracht und hinter ihnen das Schild ›geschlossen‹ ans Glas geklebt.
»Unverwüstlich, unser Willy!«, hatte Mathilde gesagt und sich bei Robert eingehakt. Sie waren über die Promenade bis zur Seebrücke spaziert und schlenderten nun über die bewachten, stündlich gefegten Holzplanken der Brücke nach Norden. In den Außenbalkons der Brücke machten sie Pausen und wurden nicht müde, die Leere des Strandes aufzusaugen. Fast keine Menschen bis Warnemünde. Auch keine bunten Punkte bis Kühlungsborn. Leere, Robert sah sich diese Leere des Wassers und des Landes an und dachte: ›Zu leer? Für eine Frau allein? – Was ist das schon für eine Verbindung, wenn sie leer ist. Da Wasser, hier Land, dazwischen? Dazwischen ein Strand, ein Ort ohne Saat, ohne Nährstoffe, aber mit Steinen, Müll und abgestorbenen Ästen. Ein gereinigter Ort, ein toter Ort. Ein wüstes Land. Viel zu salzig für Wachstum, eigentlich der ideale Ort für einen Friedhof. Wie schon geheiligt. – Sind Strandläufer deshalb immer so schweigsam? So entrückt? – Zu leer für eine Frau allein?‹
»Angespülter Tang schlägt keine Wurzeln«, sagte er leise: »Doch ein komisch’ Ding, so ein Strand!«
Mathilde nickte, ohne ihn so recht zu verstehen, und nickte wieder, als er fortfuhr: »So ein Strand ist nichts. Gar nichts. Außer Freiheit und Ruhe. – Ist er zu leer?«
»Hier ist Ende, hier ist Anfang«, sagte sie schließlich: »Hier ist Hoffnung. Hier ist Verlangen. – Oder um es praktischer zu sagen: Dreiundachtzig Prozent der Weltbevölkerung leben am Wasser! An Seen, Flüssen, Ozeanen und Staudämmen, also am Ufer.«
Sie standen am Ende der Brücke, und Robert nickte.
›Und auf Schiffen, die sind auch am Wasserrand‹, wollte er erst noch sagen, unterließ es dann aber. Er drückte Mathilde fester an sich, und Mathilde sah ihn verstohlen an. Tatsächlich! Der pummelige Junge hatte Recht! Roberts Gesichtsausdruck war böse, wenn er übers Meer zum Horizont blickte, bitterböse.
Sie wärmten die Erinnerungen an die Zeit auf, als die Soldaten hier gewesen waren. Die umliegenden Felder waren mit ihnen übersät gewesen, auch in den Wäldern hatten sie gehaust. Und ein drei Meter hoher Zaun hatte Heiligendamm eingeschlossen.
Schnell hatte Willy sich davon einen laufenden Meter besorgt. Nachts. ›Vom LKW gefallen‹, wie dies in dieser Gegend schon immer geheißen habe, hatte er gemeint, als die Wächter ihn erwischt hatten. Er hatte sofort von der Zeit erzählt, als es hier noch keine Autos gab. Damals habe es hier schlicht ›Strandgut‹ geheißen. Und damals fragte an den Küsten der Ostsee niemand groß nach. Dass die Lichter, die die Hafeneinfahrten anzeigten oder vor felsigen Halbinseln warnten, in Sturmnächten ab und an versetzt wurden, das konnte sowieso nie bewiesen werden. Damals. Nein, nein, hier sei man schon immer hilfsbereit gewesen! Und wenn die Stürme noch so mächtig gewesen seien, man sei immer hinausgerudert, um die Ladung der gekenterten Schiffe zu sichern. Und die Mannschaft zu retten; natürlich! Wie nannten die Bauern das noch gleich? ›Einem geschenkten Gaul guckt man nicht ins Maul!‹ Richtig! Ganz richtig!
Mathilde und Robert grinsten, als sie sich daran erinnerten, wie Willy ihnen diese Geschichten nacherzählt hatte.
Und die Soldaten waren ja schnell wieder abgezogen. Die einen in ihrer dunkelgrünen Uniform, die anderen in ihrer bunten.
Und die sieben mächtigsten Menschen der Welt natürlich auch, die waren mitsamt ihres protzigen Strandkorbes abgereist. Mathilde und Robert lächelten versonnen, als sie an das kuriose Fernsehinterview dachten, das Willy gegeben hatte.
Ob er sich vorstellen könne, dass dieses
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