Letzte Fischer
sollten wir mal wieder eine Yacht stehlen?«
Robert brauchte einen Moment, ehe er begriff: »Stehlen? Die war doch nur ausgeborgt!«
»Ausgeborgt! Der Besitzer bekam sie ja auch zurück, ich weiß: in Malmö!«
Als sie ins Auto stiegen, durchsuchte Robert vom Beifahrersitz aus die Radiofrequenzen und blieb beim einzigen Sender hängen, der rauschfrei zu empfangen war.
»Warum immer diese Kultursender am besten rüberkommen?«, fragte er und lehnte sich zurück. Mathilde fuhr vom Hof und zuckte mit den Schultern.
»›NDR Kultur‹«, sagte eine künstliche Stimme: »Lyrik am Nachmittag: ›Am Meer‹ . . .«
»Oh, am Meer, das passt ja gut!«, sagte Mathilde.
Robert nickte, bevor sie beide schweigend zuhörten:
»›Ans Meer nach diesem Seelenfall
Der Himmel schlug sich schlecht und recht
Und ließ zu wünschen übrig
Auch seewärts war man komisch aufgelegt
Die Wellenberge rollten wild von Westen
Die alte Düne lagerte sich um
Fast grüßten uns die Nachbarn nicht
Als wir mit dem Gepäck anreisten
Und La Cabina flatterte ihr rotes Dreieck
Ganz plötzlich brach der Wind in unsre Köpfe
Am Wasser stand die Hoffnung wieder rum
Und sagte alles würde irgendwie schon werden‹«
»Genau!«, sagte Mathilde: »›Alles wird besser, aber nichts wird gut!‹ – Weißt du noch, wer das gesungen hat, als wir Teenager waren?«
»›Silly‹«, sagte Robert: »Aber frag mich nicht, wie die Sängerin hieß! – Ich war immer Fan von ›Juckreiz‹! ›Ja, was macht die Ostsee her – was soll’n wir denn am Schwarzen Meer?‹«
›Hätte es mir auch denken können‹, dachte Robert enttäuscht. Er blieb sitzen, obwohl Mathilde den Wagen schon geparkt hatte. Neben ihm fuhr ein weiteres Auto auf den Platz vor der Fabrik, aus dem zwei lebenslustige Pensionäre stiegen und sofort damit begannen, Fotos zu schießen. Robert kurbelte schnell das Fenster hoch, um die Stimmen nicht hören zu müssen.
»Nur einen Blick!«, sagte Mathilde, während sie den Sicherheitsgurt abschnallte: »Nur einen kurzen Blick, in einer halben Stunde sind wir wieder draußen. Vielleicht kommen wir ja auch gar nicht rein! Dann fahren wir sofort weiter.«
»Ja, ja, nur einen Blick! Und noch einen Blick. Und noch einen Blick. Und noch schnell einen Blick.«
»Na, wenn das kein Zufall ist! – Schau mal: ›Tag der offenen Tür‹!«
»Sehr lustig. Welch Zufall, haha. – Ich weiß schon: ›Zufälle gibt’s, die gibt’s gar nicht.‹«
Robert ließ den Gurt nach oben schnellen, stieß die Beifahrertür auf und stellte lustlos den rechten Fuß auf den Asphalt. Mathilde stand an der Seite und hielt ihm die Hand hin. Er griff nach ihr und ließ sich aus dem Auto ziehen.
»Nur angucken, versprochen. Wir reden nicht drüber, nicht während der Führung und auch nicht danach. Nur gucken«, sagte sie hoffnungsvoll, doch er antwortete nur, man solle nicht versprechen, was man nicht halten wolle.
Mathilde schluckte eine Erwiderung runter und ging schweigend zum Fabriktor.
Sie ließ sich zwei weiße Kittel geben, zwei Haarnetze, sowie Handschuhe und Überzieher für die Schuhe. Als auch Robert die Schutzkleidung anhatte und in den Spiegel sah, hörte sie ihn sagen: »Sieht so ein Fischer aus? Ich sage, nein. So sieht ein Arzt aus!«
»›Nichts ist beständiger als der Wechsel‹«, sagte Mathilde, und Robert bat sie, ihn bitte mit Sprichwörtern zu verschonen, als der Firmenmitarbeiter die kleine Gruppe Interessierter begrüßte. Er gab allen acht Leuten die Hand und stellte sich als einer der leitenden Ingenieure vor.
»Wenn die Fischer ihrer Arbeit nachgehen, jagen sie eigentlich Wildtiere«, sagte er: »Wenn Speisefische innerhalb von Gebäuden in großen Becken heranwachsen, ist das eigentlich nichts anderes als die Züchtung von Haustieren. Ein Vorteil der Aquakultur ist es, dass der Landwirt, der hier ›Fischwirt‹ heißt, Einfluss auf die Lebensbedingungen der Fische hat. Er kann die Ernährung kontrollieren und die Wassertemperaturen optimieren. – Beispielsweise kann der Kaviar von einem frei lebenden Stör erst nach fünf oder sechs Jahren geerntet werden, weil der Fisch den Schwankungen der Wassertemperatur unterliegt. ›Auf offener See.‹ Hier aber wird er schon nach einem Jahr geschlechtsreif, weil die Wassertemperatur konstant ist. Schon nach einem Jahr können wir hier also den Kaviar abernten.«
»Das heißt ja dann, dass der Kaviar bald billiger wird!«, freute sich eine ältere Frau, die einen großen, gelben
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