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Letzte Gruesse

Titel: Letzte Gruesse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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an den Schützensaal der Sassenholzer«Linde». Auch hier fanden Versammlungen und Tanzveranstaltungen statt, die Stühle waren hochgestellt. Auf der Bühne ein Flügel und daneben ein Schlagzeug. Gitarrengeklampfe ließ sich hören: Es war dasselbe wie auf dem Hof, und es waren immerfort dieselben Tonfolgen: Hier lief also irgendwo ein Tonband.
     
    Die Frau in ihrem Office überprüfte Abrechnungen vom Vorabend. Neben ihr am Tisch ein kleiner Junge, der machte Schularbeiten. Alles ganz normal. Alexander setzte sich an einen der vielen Tische und trank einen Früchtecocktail, wie er ihn noch nie im Leben getrunken hatte. Als der Junge zu ihm herübersah, wackelte Alexander ein wenig mit den Ohren, aber der Junge sah schon wieder weg.
     
    Das Mädchencollege lag vor der Stadt, eine private Sache. Dort sollte Alexander sich produzieren.
    Du mein einzig’ Licht,
die Lil’ und Ros’ hat nicht,
was an Farb und Schein
dir möcht’ ähnlich sein …
     
    Ein Mädchen college. Gewisse Erwartungen wurden in ihm wach. Er konnte sich zwar nicht vorstellen, daß er als ein Heilsbringer dort herbeigesehnt werde. Aber vielleicht standen sie eben doch schon am Fenster und hielten nach ihm Ausschau. Könnte doch sein, daß dort ein Erlebnis auf ihn wartete, von dem man dann später sagen würde:«Weißt du noch?»
     
    Es war schon dunkel, als Hansen ihn zum Abendessen abholte. Sein Haus war mit Bildern vollgehängt, Rahmen an Rahmen. Und auf der Terrasse standen seine alten Eltern und guckten sich die Sterne an. Aus Thüringen kamen sie, Hansen hatte sie herübergeholt. Das hatten sie nicht gedacht auf ihre alten Tage, daß sie in Amerika auf der Terrasse des Hauses stehen und sich die Sterne angucken. Heute noch in Gera und eine Woche später schon in den Vereinigten Staaten von Amerika.
    Seit vier Wochen waren die Alten da, mit allen Möbeln ausgereist, noch nichts ausgepackt, und jeden Abend standen sie und guckten die Sterne an.
    «Kein Wort Englisch!»sagte die junge Frau Hansen zu Alexander und drehte die Augen gen Himmel.«Und immerfort die gleiche Leier, wie’s drüben war und wie es hier ist …»
     
    Es gab große braune Fleischbatzen zu essen mit Zwiebeln und rotem Pfeffer. Die beiden Alten würden sich all ihre Zähne richten lassen müssen, jahrzehntelang nichts daran getan! Die Sache würde einen Haufen Geld kosten!
    In den nächsten Tagen mal ganz allein zum Supermarkt fahren und mal sehen, was es da so alles zu kaufen gibt? Nein, allein zu fahren trauten sie sich nicht, man würde sie hinfahren müssen, sonst passierte noch sonst was.
    Hansen zeigte Alexander in seiner Studierstube eine hübsche vergoldete Pendeluhr, die hatte er im vorhinein schon mal eben ausgepackt. Ping! Ping! Ping! Bloß nicht anfassen, man hat sie mit Müh und Not justiert, wenn man sie berührt, bleibt sie sofort stehen.
    An der Wand ein Regal, das noch aus der Apotheke des Großvaters stammte. Auch das hatten die Eltern mitgebracht, mit unglaublich vielen kleinen Schubladen, und alle leer! Er habe damit so seine Pläne, sagte Hansen, er glaube, er wisse schon, was er hineintut in all die vielen Schubladen.
     
    Am nächsten Morgen kam Alexander vergnügt aus seinem Zimmer heraus. Er hatte sich extra frisch rasiert, das Haar gewaschen und sich mit einem duftenden Wässerchen aus dem SAS-Necessaire bespritzt. Dieser Tag würde Begegnungen mit junger Mädchenblüte geben.
    Der Brunnen plätscherte: Vielleicht kam auch dieses Geräusch von einem Tonbandgerät?«Spiddelkram, Spiddelkram...», lispelte das Wasser, das war als Orakel nicht zu gebrauchen.
     
    Hansen kam frühzeitig und sagte, leider, leider habe er eine schlechte Nachricht. Nach den Erfahrungen mit Frau Ellen Butt-Prömse und mit dem letzten deutschen Gast, dem Herrn Schätzing, wolle man im College auf Alexanders Auftritt verzichten. Er brauche also nicht zu erscheinen, das Geld bekomme er aber trotzdem. Von deutschen Dichtern hatte man hier die Nase voll. Hansen hatte das Geld gleich mitgebracht; er zählte es auf den Tisch, bei jedem einzelnen Schein aufblickend: Ob’s so recht ist? Von Autoren aus der Bundesrepublik habe man hier jetzt die Nase voll. Für dieses College käme nur noch DDR in Frage.
     
    Sie frühstückten zusammen im kühlen Innenhof des Hotels, melons, crisp, flakes, gold waffles.
    Hansen hatte den Vorschlag zu machen, wie wär’s, sie könnten ja ein wenig durch die Gegend juckeln, hier gebe es allerhand zu sehen.
    Wie lange er nun auch schon

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