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Letzte Gruesse

Titel: Letzte Gruesse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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ansehen, wie sie aus dem Boden geschossen kommen, und keiner weiß: wann. Aber wenn man dann in Island ist, fragt man sich doch: Was soll’s?
    Die vielen Lesereisen hatten ihn nicht weitergebracht. In Regensburg hatte er mal eine Spielzeuglokomotive gekauft, die ihn an seine Kindheit erinnerte. Und in Kempten hatte er mal eine Buchhändlerin mit tadellosen Zähnen gesehen. In Berlin weigerte sich der Taxifahrer, ihn an der Mauer entlangzufahren. Aber in Emden war es gewesen, daß er auf dem Pult einen Schokoladenmaikäfer vorfand, den hatte ihm ein Kind hingelegt. Meistens war er allein gelassen worden, wie hier jetzt in Amerika. Aber waren die andern nicht auch alle allein?
    «Alexander!»- Die Mutter hatte geschrieben:«Junge, wann besuchst du mich mal wieder?»Detmold, Bielefeld und Salzderhelden. Der Vater war ungesehen dahingegangen, aber die Mutter. Man hätte sie in ihren letzten Tagen fragen können: Wie war es denn, dein Leben? - Wie soll es denn gewesen sein?
     
    Einen«leichten»Roman schreiben? Das hätte sich machen lassen, einfach draufloserzählen und davon zweihunderttausend Stück verkaufen? Liebe, Leidenschaft und Leid? Wie Hessenberg es wieder und wieder forderte? Alexander wußte es: Ein solcher Versuch hätte sich unter seiner Hand in einen schwierigen Text verwandelt, dem die Kritiker zwar zustimmen würden, den die Leser jedoch nicht haben wollten. So war das nun mal. Wie hatten sich die Zeiten geändert. Früher hatte man ihm die Bücher aus der Hand gerissen -«Schreiben Sie mal wieder ein Buch?»-, früher war es anders gewesen, oder war er anders gewesen?
    «Wie sind Sie ans Schreiben rangekommen?»
    Alexander saß in seiner Ecke, das Sitzklo im Blick. Ich müßte ganz von vorn anfangen, dachte er. Aber wie? Lyrik fabrizieren wie Schätzing?«Die Winternebel knistern aus Kristallen»? Womöglich ließ der jetzt seine«Definitionen»sausen und warf sich auf Prosa?
    «Der wird sich wundern!»sagte Sowtschick laut.
     
    Am Horizont standen Rauchwolken, dort brannte der Wald. Man konnte es riechen. Der Zug fuhr dem Feuer entgegen. Nach einiger Zeit waren Flammen deutlich zu erkennen. Sowtschick holte sein Notizbuch hervor und stellte sich ans Fenster. - Unförmige Flugzeuge kamen geflogen und ließen rote Wassermassen fallen.
    «Die Flammen lecken an den Bäumen empor …», wollte er eintragen, aber das hatten doch schon alle Leute notiert.
    In einer weiten Kurve näherte sich der Zug der Katastrophe, fuhr so langsam durch das qualmende Unterholz, als müsse er den Reisenden Zeit lassen, sich alles genau anzusehen. Die beiden Juden würden jetzt am Fenster stehen und die junge Mutter mit ihrem Kind … Lange waren die Flammen zu beobachten, doch dann kam ein Tunnel, und danach war dann nichts mehr zu sehen. Eine Rauchwolke in der Ferne, das war alles. Der Brandgeruch lag noch im Abteil.
    «Das Feuer ist wahrscheinlich auf Brandstiftung zurückzuführen», würde in der Zeitung stehen. Aber nie würde man etwas Näheres erfahren. Erwischte man diese Leute denn nicht? Wie sahen diese Leute aus?
     
    Alexander legte sich auf das Bett und las in dem Buch von 70/71. Die Bombardierung von Paris. Der Hunger, die Kommune. Er empörte sich über die Empörung der Welt.
    Dann ließ er das Buch sinken und dachte an den Autor Prack, der die deutsche Literatur anführte, obwohl seine Erzeugnisse von der Presse stets mit wütenden Verrissen bedacht wurden. Ein grober Geselle. Aber wie sollte auch einer sein, der sich so durchsetzte? In der liberalen Bundesrepublik hatte er gegen Zensur gewettert. Im Osten war jedoch alles erschienen. Hatte er dort Kürzungen in Kauf genommen?
    Alexander wünschte ihm alles Schlechte, irgendeinen handfesten Skandal. Aber ein Skandal würde nur dazu führen, daß sich seine Bücher desto schwungvoller verkauften. Ich bleibe in meiner Ecke, dachte Alexander. Aber wenn sich seine Bücher ebenso rasend verkauft hätten, dann hätte er schon gewußt, was mit dem Geld zu machen sein würde.
     
    Der Zug hatte zwei Stunden Verspätung, und als er endlich hielt, hätte Alexander fast das Aussteigen verpaßt. Er lag auf dem Bett in tiefem Schlaf. Der schwarze Schaffner klopfte an die Tür, ob er etwa bis San Francisco mitfahren will? Er taumelte also in die Höhe und raffte in höchster Eile seine Sachen zusammen. Zittrig stieg er über eine hölzerne Treppe auf den von der Sonne ausgeglühten heißen Bahnsteig hinab.
    Vor seinen Augen stand eine Nebelwand, so als hätte er sich

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