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Letzte Gruesse

Titel: Letzte Gruesse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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Linsensuppe mit Kohlwurst vorkochen, ob das das Richtige sei? Alexander fand auch, daß das das Richtige für junge Menschen sei, die sich noch in der Entwicklung befinden. Linsensuppe, warum nicht? Linsen enthalten Eiweiß! Und wenn sie dann noch eine Kohlwurst hineinschnippelte …
    Ein feines Gespür hat sie, dachte Alexander, als er auflegte. Sie hat gemerkt, daß ich nicht bei der Sache bin …
     
    Die Mädchen, eines neben dem anderen - er blieb noch eine Weile am Fenster sitzen. Er stellte sich vor, daß sich, wie sie da lagen, von der Kraft der Sonne ihre Bäuche aufblähten, alle gleichzeitig, und daß in den dann aufplatzenden Leibern Knaben lägen wie auf einem Seerosenteich und die Arme gen Himmel reckten. Licht! Luft! Leben! Und daß die fleischlichen Schalen unter ihnen sodann dahinwelkten wie ausgetrocknete Antilopen auf dürrem Wüstenboden.
    Die Mädchen auf dem Dach, und auf der Küstenstraße ein Lastwagen nach dem anderen mit tausendjährigen Redwoodstämmen fürs Häuserbauen. Diese Transporter hatte Alexander schon an sich vorüberfahren sehen, als er das letzte Mal in Amerika gewesen war. Das war zehn Jahre her.
    Die kahlgeschlagenen Wälder wären für deutsche Kulturfilme ein Thema, das seines Wissens noch nicht aufgegriffen war - na, das würde schon noch kommen.
    Er konnte von seinem Fenster aus beobachten, wie ein solches Redwoodhaus wuchs: Im Zeitraffer entstand es. Wieso sollte er sich hier nicht auch so ein Haus bauen? Finanziell durchaus drin. Mit Blick aufs Meer und kreisende Drachenflieger darüber hin. Den Campus im Rücken mit Läden und Studenten und sogar einem kleinen Theater. - Marianne könnte Deutschkurse abhalten, und er würde sich in Ruhe seiner Arbeit widmen.«Karneval über Lethe»? Und dann Europa ade? Alles verkloppen? Hier könnten sie ihn lange suchen!
     
    Er sah den Drachenfliegern zu, verfolgte die Holztransporter und die Jogger und betrachtete gleichzeitig die Mädchen, die sich auf dem Dach des Penthouse rösten ließen. Er hätte den ganzen Tag so sitzen können.
    Manchmal setzte er sich ans Klavier und spielte die Noten durch, die dort lagen. Mozart-Sonaten, leichtere Sachen von Bach, Schumann und Schubert - Schülerzeugs. Auch Swing:«It’s Easy to Play Jazz», Heft I bis III.
    Gelegentlich spielte er auch mal den wildwütigen Prokofjew, mit dem er in Sassenholz seine Gäste gern verblüffte. Noch konnte er das Stück auswendig, aber die Sache verblaßte von Tag zu Tag.
    Manchmal war es ihm so, als hebe die eine oder andere da draußen den Kopf, was das da ist, was sie da hört …
     
    Morgens hätte er gern länger geschlafen, aber um acht Uhr kamen zwei Frauen, um die Wohnung zu reinigen, zwei Schwarze, und die jagten ihn aus dem Bett. Das geht nicht, daß er hier bis Mittag schläft, ob er gar nichts zu tun hat? Beim ersten Mal war ihm das peinlich, dann aber ließ er es darauf ankommen und zögerte das Aufstehen sogar hinaus, um von ihnen ein bißchen gescheucht zu werden. Die eine trug eine Jockeymütze alten Stils auf dem Kraushaar, die andere war nicht so ganz sein Typ. Er setzte sich in der Küche an den Tisch und sah ihnen zu. Die mit der Mütze erzählte, daß sie drei Kinder hat, und Sowtschick legte immer irgendwo ein paar Dollar hin, damit sie sie finden sollen, und die steckten sie schweigend ein.
    Ain’t she sweet?
See her coming down the street! …
     
    Aus dem Jazzalbum spielte er ihnen was vor, aber sie sagten, der Rhythmus stimmt nicht. Als Alexander mal eine Chopin-Schnulze herunterjagte, waren sie still.
     
    «Karneval über Lethe», wenn er an den Roman dachte, stellte er sich einen Kostümball in Schwabing vor, mit Stefan George als Dante und hinter ihm nackte Damen auf einem Pegasus, und Amoretten streuen Blumen. Zu«Lethe»fiel ihm die stille, schwarze Eische ein, und das kleine Mädchen, das man an einem Novembertag aus dem Wasser gezogen hatte. Auf dem Wäschesteg hatte sie gelegen, wie nur Ertrunkene liegen. Lethe - daß das eine ernste Sache sei, soviel immerhin, und daß das lustige Treiben in den Lüften nicht ewig dauert, sondern bald sehr abrupt endet.
     
    Zu seiner ersten Vorlesung kamen drei freundliche Studenten japanischen Typs. Er bat sie, am nächsten Tag doch ja nicht wiederzukommen, wenn nämlich weniger als drei Studenten kämen, brauche er nicht anzutreten. Er mußte das mehrmals sagen, denn die aufstrebenden Leutchen verstanden nicht so recht, wie er das meinte.
    Ja, schon recht, sagten sie, aber es

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