Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Letzte Gruesse

Titel: Letzte Gruesse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
Vom Netzwerk:
nur ein Schritt, das war früher einmal ein Land gewesen. Jetzt durch einen Zaun voneinander getrennt. Der Student hatte das Auto für diese Unternehmung extra nicht gewaschen, damit es nicht so auffällt drüben, in einem Land, wo die Armut wie eine Krankheit grassierte. Daß der Kotflügel rechts vorn eine Beule hatte, war ein Geschenk des Himmels.
     
    Obwohl der junge Mann beim Fahren eine Brille trug, beugte er sich leicht vor, oder gerade deshalb. Sowtschick sah sich die Gegend an: Mexiko, wer hätte das gedacht! Mexiko war zwar nicht gerade das Land seiner Träume, aber wenn er zu Hause sagen würde,«meine Zeit in Mexiko …», das machte doch einen ganz andern Eindruck als der bloße Hinweis, er sei in den USA gewesen. Kanada und Mexiko, das müßte Mariannes Schwägerin grün vor Neid werden lassen, wenn sie das erführe.
     
    «Die Mexikaner sind ganz anders als wir …», sagte der Student,
    «sie schreien und toben, singen und tanzen. Und sie stehlen.»Sie seien wie Kinder, freuten sich über jeden Quatsch, seien aber auch grausam wie Kinder: Hahnenkämpfe - habe Alexander schon mal einen Hahnenkampf gesehen? Daß man den armen Tieren keine Chance zum Rückzug lasse? Der Unterliegende werde zerfleischt.
    Oder Pferdeschindereien! Rutherford schickte sich an, Pferdeschindereien zu schildern, die er hier beobachtet hatte, Pferdeschindereien der schlimmsten Art, woran ihn Alexander sofort hinderte.
    Alexander erzählte von den Russen, die auch in jeder Hinsicht wie die Kinder seien - unfähig, sich in andere Menschen hineinzuversetzen. Aber hier war es Rutherford, der ihn stoppte. Alexanders Kriegsgefangenschaft schön und gut, aber Tolstoi und Dostojewski? Und: Rußland ? Er meine wohl die Sowjetunion? - Es heiße übrigens«Mechiko», und man könne drüben mit Dollars zahlen.
     
    Der VW knatterte und ruckte. Auch Alexander hatte mal einen Volkswagen besessen, von einem Viehhändler gekauft. Sein erstes Auto war das gewesen, und es war dann irgendwann einfach verendet, eines natürlichen Todes gestorben, ganz unblutig, wenn auch nicht ohne Schinderei, wie Alexander es ausdrückte.«Unglaublich, was diese Wagen aushalten!»
    «Ja», sagte Alexander,«im Krieg war dieses Auto das Rückgrat der Armee …»
    «Ja ja, die Deutschen», sagte Rutherford. Seine Tante sei in London bei einem Luftangriff ums Leben gekommen.
     
    Dann wurde Alexander ernsthaft gefragt, woran er jetzt arbeite.«An einem Roman?»fragte Rutherford.«Wie soll er denn heißen?»
    Alexander sagte:«Karneval über Lethe», und ihm war dabei nicht wohl in seiner Haut.
    Ob das was mit dem«Carneval in Venice»zu tun habe, fragte der Student.«Mein Hut, der hat drei Ecken …?»
    Nein, sagte Alexander,«Karneval über Lethe».
    Der Student verstand dann doch, was damit gemeint sei:«Aha!»sagte er:«Der Tanz auf dem Vulkan.»Gibt’s von Klaus Mann nicht so was Ähnliches?
    «Lethe!» sagte Alexander Sowtschick und beendete das Gespräch.
    An der Grenze drückte man ihnen ein Merkblatt in die Hand, was in Mexiko alles zu beachten ist, damit man keine Schwierigkeiten kriegt. Den Wagen immer abschließen und sich in jeder Hinsicht vorsehen.
    Gott sei Dank kein Linksverkehr, das hätte noch gefehlt!
     
    Der Grenzübergang war krass: hier ein klinisches Nichts, alles sauber, alles blank, drüben offene Feuer mitten auf der Straße und Schlammpfützen, und überall Kinder, niedlich, aber drekkig und zerlumpt, die Papierblumensträuße feilbieten und Blechjojos, von Auto zu Auto.
    Rutherford umfuhr Pfützen und Kinder, bloß keinen Unfall bauen, da gibt es Scherereien! Und er schlängelte sich in Achten durch elende Gassen. Nicht gerade wie in Indien so elend, aber doch sehr sonderbar. Trotz aller Erbärmlichkeiten schienen die Menschen aber einen guten Lenz zu schieben, saßen herum, rauchten, tranken und klönten.
    An einer Ecke standen Polizisten, grade sprachen sie mit einem älteren Touristenehepaar, das offensichtlich bestohlen worden war. Der Mann machte ein flehentliches Gesicht, soviel konnte Sowtschick sehen, und die Frau auch. Einer der Polizisten zuckte mit den Schultern, der andere guckte in die Gegend. Rutherford, der die Tour nach Mexiko öfter machte, hatte für Bagatellfälle im Handschuhfach ein paar Dollars liegen, mit denen ließ sich erfahrungsgemäß so manches regeln. Er stellte den Wagen auf einem Hinterhof ab. Eine alte, zahnlose Frau in buntem Rock kam aus dem Haus und sagte: Okay!, wir passen auf.
     
    Sie liefen durch

Weitere Kostenlose Bücher