Letzte Gruesse
Sowtschick bereits das Gefühl gehabt, daß sein Rücken am Vormittag zuviel Sonne abgekriegt hatte. Das machte sich jetzt bemerkbar. Sich selbst den Rücken zu kratzen oder einzureiben, das schaffte er nicht, so wenig wie Siegfried sich von dem Lindenblatt hatte befreien können.
Er mußte Hilfe holen. Unter dem Flutlicht der Tennisplätze sah er das Mädchen im Rollstuhl.
Er überwand sich, ging hinüber und bat sie - wie wär’s? -, ihm den Rücken einzureiben mit der Sonnenbrandcreme, die vielleicht schon ranzig war.
Und während sie es tat, kam einer dieser überschweren Züge angedonnert, mit dem Signalhorn kreischend, Menschen in den erleuchteten Fenstern, ein Abteil neben dem andern. Woher? Wohin? War ein Schriftsteller darunter? Immer noch donnerten die Waggons vorüber, Alexander brachte den Satz, den er begonnen hatte, nicht zu Ende.
Für seinen Roman hatte er dreiundsechzig Seiten beisammen. Waren das zwanzigtausend Wörter? Du lieber Himmel.
Am nächsten Morgen, als er bereits auf das Auto wartete, das ihn zum Flugplatz bringen sollte - Herr Tennhoff lasse schön grüßen! -, fand er an der Tür ein Briefchen. Es stammte von der Rollstuhldame. Kein Wort, nur eine kleine Zeichnung, ihn darstellend, ohne Zweifel, aber als Greis! Uralt! Mit übertriebenen Falten im Gesicht.
Sich selbst hatte sie auch dargestellt, in einem Rollstuhl sitzend, der mit Flügeln versehen war, jung und schön. Sie war also nochmals dagewesen. Schade eigentlich, daß man es nicht bemerkt hatte, aber doch irgendwie gut.
34
In San Francisco brachte ihn der Assistent des Instituts ins Hotel. Das Zimmer war dürftig, und vom Fenster aus gab es in ganzer Breite eine schöne Aussicht auf unverputzte Brandmauern! Dafür war er nicht nach San Francisco gekommen, auf seine alten Tage, quer durch den Kontinent gereist, um auf unverputzte Brandmauern zu starren. Nein. Alexander weigerte sich, das Zimmer zu betreten. Ja, er hielt sich am Türrahmen fest, damit man ihn nicht gewaltsam hineinschiebt!
«Alexander!»
Sein Gepäck hatte er zwischen die Beine geklemmt, den Heiligen unterm Arm: Nein, in dieses Zimmer brächten ihn keine zehn Pferde hinein.
Der Assistent war ratlos. Er wisse es auch nicht: Alle Gäste des Instituts würden hier einquartiert, und bisher habe sich noch keiner beschwert. Aber die Ansprüche seien eben verschieden. Wenn er irgendwohin reise, sei er mit einer Luftmatratze unter der Treppe zufrieden. Alexander verwies darauf, daß er sein siebzigstes Lebensj ahr demnächst vollendet haben werde und immerhin eine ganze Reihe von Büchern geschrieben, Keyserling-Ring und so weiter … Und daß er das schon kennt, herumgestoßen zu werden. Eigenartig: Solange er denkt, muß er sich alles, alles erkämpfen. Seine Mutter zum Beispiel habe stets seiner Schwester den Grießbrei zuerst aufgefüllt …
Bei jeder neuen Situation, vor die er gestellt wird, denke er: Was nun wohl noch alles kommt.
Früher habe man von diesem Fenster aus die ganze Bay sehen können, sagte der Assistent, einschließlich der Golden Bridge und dem Gefängnis Alkatraz. Dann sei es den Nachbarn eingefallen, diese Mauer hochzuziehen. Geschäftsleute, die nur Profit im Sinn haben und sonst nichts.
Schätzing habe die Brandmauern ganz anregend gefunden. Daß man die Mauern unverputzt gelassen hatte, wär ihm bemerkenswert erschienen. Den zwischen den Ziegeln hervorgequollenen Mörtel hatte er sogar als besonders anregend bezeichnet und gleich ein Blatt Papier hervorgeholt und was aufgeschrieben. Und was die Aussicht angehe, da habe er ganz eigene Gedanken gehabt...
Schätzing sei schon vor zwei Tagen abgereist, und seine Dulzinea habe ihn schon vorher im Stich gelassen. Ganz nettes Frauchen übrigens. Hatte wohl Hummeln im Hintern. Soviel er wisse, sei sie zurückgeflogen nach New York. Wenn man Schätzing kenne, könne man das verstehen. Ein unerträglicher Mensch! Eigenbrötlerisch und zänkisch. Aber seine Gedichte - alles, was recht ist.
Ein Mann, der Schmerzen hat, Tag und Nacht, der soll wohl zänkisch sein, dachte Alexander.
Weil er nun so hartnäckig in der Tür stehenblieb, wurde ihm dann doch ein kleines Appartement eingeräumt. Es lag zwar zur Straße hinaus, mit einer Ampel, vor der ständig Autos hielten und gleichzeitig wieder anfuhren, aber es bestand aus zwei Zimmern, und die waren groß genug zum nachdenklichen Hin- und Herschreiten - Alexander probierte das aus, das Hin- und Herschreiten, und Assistent
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