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Letzte Gruesse

Titel: Letzte Gruesse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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zieht!»
    Mit Kreislaufgeschichten konnte Alexander nicht dienen. Ihm werde manchmal«unwirklich», sagte er, und manchmal erscheine ihm ein Horn auf der Netzhaut.
    Mit einem Horn auf der Netzhaut konnte Tennhoff nichts anfangen.«Ein Horn?»sagte er lediglich.«Wie soll ich das verstehen?»Und ob Schätzing ein goldenes Kettchen getragen habe, das wisse er nun wirklich nicht.
     
    «Deutsche Wochen», er finde diese Bezeichnung irgendwie anstößig. So besitzergreifend. Als ob in diesen Wochen alles«aufs Kommando hören»müsse.
    In Utrecht kreuzten ab und zu deutsche Professoren auf, nicht sehr erfreulich, meist kurz angebunden und wenig verbindlich. - Daß mal ein einziger auf die Idee gekommen wäre und ihm eine Gegeneinladung verschafft? Nein. Auch seine Publikationen würden in Deutschland nicht zur Kenntnis genommen.«Deutsche Wochen»! Warum keine«Niederländischen Wochen»in Köln? Oder in Frankfurt am Main, in Heidelberg? Alexander fragte ihn, warum er nicht mal nach Sassenholz komme, wenn er mal in der Gegend ist? Er sei ihm als Gast jederzeit willkommen. Da könne man dann ausführlich über alles sprechen, und seine Frau würde eine gute«Kartoffelsoep koken». Kartoffeln hießen auf niederländisch«Aardappels», sagte Tennhoff, also ganz anders.
     
    Wüste! Irgendwelche Lebewesen waren nicht in Sicht, keine Kamele, keine Schlangen - auch keine Autos. Große Vögel am Himmel schon. Waren es Geier?
    Alle paar Meilen war ein Schild aufgestellt, auf dem zu lesen stand, daß das Hinauswerfen von Bierbüchsen oder leeren Zigarettenpackungen zweihundert Dollar Strafe koste. Ansonsten kein Baum, kein Strauch, nicht einmal ein Kaktus: eben Wüste und zwar Sandwüste, die Tennhoff sich ganz anders vorgestellt hatte. Mit wenigstens ein paar Grasbüscheln oder Felsen. Und er hielt Alexander einen Vortrag über unterschiedliche Wüstenformen.
     
    Nun ergab sich für Alexander die Gelegenheit, auf«Wasserwüsten»hinzuweisen und auf die Heldentaten der tapferen Holländer, die sich den Wassermassen entgegengestellt, dem blanken Hans, und die Natur sich untertan gemacht hatten …
    «Aber fragen Sie mich nicht, wieviel Geld das gekostet hat …», sagte Tennhoff. Und er schilderte, wie man immer wieder Teile des Meeres eingedeicht habe, Stück für Stück, dem Meer also Land abgezwackt. Die riesigen Schleusentore, ein Wunderwerk der Technik! - Leider kam er dann wieder auf die Deutschen zu sprechen, die Ende des Krieges alles unter Wasser gesetzt hatten …
     
    Ein kleiner, zerbröckelter Turm kam allmählich näher und näher, ein altes Gemäuer mit Wendeltreppe, einem Fort zugehörig, das schon lange nicht mehr existierte. Jetzt hatte man ein Wüstenmuseum dort eingerichtet. Auf Tischen war altes Schmiedezeug aus der Wildwestzeit ausgestellt, verschiedene Hufeisen, Pferdegeschirr und Türriegel jeder Art. Und an der Wand hingen Fotos eines Autos, das in dieser Wüste, allerdings an ganz anderer Stelle und vor fünfzig Jahren, vom Weg abgekommen war und sich verirrt hatte. Die Menschen darin waren verdurstet! Tennhoff machte Alexander auf das Foto einer verdorrten Hand aufmerksam, die sich aus dem Wüstensand emporstreckte.
    Machte er die Deutschen auch für diese Katastrophe verantwortlich?
    Sowtschick durfte durch ein Mikroskop gucken. Sandkörner waren zu sehen, schöne Gebilde, durch spezielle seitliche Beleuchtung in allen Farben wie Edelsteine erstrahlend und blinkend. Durchsichtige Körner, schwarze, braune, rote - alle unterschiedlich geformt. Alle gleich und doch alle verschieden. Tennhoff interessierte sich nicht dafür. Das kennt er schon, sagte er störrisch, das kann er sich denken, wie das aussieht, das braucht er sich nicht anzusehen, und er ging hinaus und setzte sich in den heißen Wagen. Er mochte so seine eigenen Gedanken haben.
     
    Dann fuhren sie weiter, immer geradeaus. Auf der Piste lag ein toter Hund. Vielleicht von Leuten ausgesetzt? Sie stiegen aus und betrachteten das Tier. Es lag auf der Seite, Maul offen. Unverletzt, also wohl verdurstet? War die Piste entlanggelaufen, zuerst hinter dem sich entfernenden Auto seines Herrchens her, dann dahingetrottet, voll irrer Hoffnung, daß das Ganze nur ein Spaß sei?
    Ob so etwas auch zweihundert Dollar kostete?
    Tennhoff empörte sich, und auch Alexander war entrüstet. Und als sie dann weiterfuhren, erzählten sie sich wechselseitig Tiergeschichten, Erlebnisse mit klugen Hunden und klugen Katzen, und sie waren sich ganz einig in ihrer Liebe

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