Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Letzte Gruesse

Titel: Letzte Gruesse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
Vom Netzwerk:
gefaltet:
    Lieber Herr Sowtschick!
    Wir sind«kaum einen Finger breit»auseinander - und können doch nie zusammenkommen. Schade! Vielleicht treffen wir uns ja in New York. Es scheint so, als ob sich unsere Wege dort kreuzen.
    Vielen Dank für die Wäsche, ich brauchte sie dringend! Ihr Adolf Schätzing.
    PS: Der Nebel knistert aus Kristallen …
    Da war Alexander denn doch erstaunt. Er legte das Briefchen in seine Brieftasche.«Wie nett!»sagte er laut, und er bereute es, je eine böse Äußerung über diesen Mann getan zu haben. Nun doch schade, daß er die Krawatte in Washington zerschnitten hatte. Wäre ulkig gewesen, wenn sie einander in New York in gleicher Weise dekoriert gegenübergestanden hätten, mit einer glückstrahlenden Jennifer in ihrer Mitte.
    Ein handschriftlicher Brief von Adolf Schätzing? Den zu Hause gleich in den Karton mit den Autographen legen.
     
    Alexander kaufte sich Zeitungen und setzte sich in ein Straßencafé. Statt Nachrichten über die Großereignisse in Leipzig und Berlin zu bringen, war in der Zeitung die Schlagzeile zu lesen:«Nearly 3 Years after Heart Transplant, he runs!»An der Ecke stand ein Mann mit einem goldenen Saxophon und blies da seine Sachen. Der blies hier wohl bloß, weil so schönes Wetter war und ein sanfter Wind wehte. Vielleicht war er ja extra nach San Francisco gekommen, um hier einmal in Ruhe was blasen zu können?
    «What is this thing called love …»
     
    Alexander saß in dem Café wie in Eppendorf. Er sah sich die Leute an, wie sie die Straße entlangkamen.«Studien treiben», nannte er das: eine schwangere Negerin mit rosa Turban auf dem Kopf, zwei graziöse Kinder an der Hand. Ein Jüngling, der statt eines Hündchens einen ferngelenkten Volkswagen spazierenführte; Leute mit Kopfhörer und Radio am Gürtel, sich in den nicht vernehmbaren Rhythmen ihres Geräts wiegend. Jetzt kam aus dem Kaufhaus gegenüber ein Mann gestürzt, zwei Verkäuferinnen rannten hinter ihm her, von einem bellenden Hündchen verfolgt, das seine Leine hinter sich herschleifte. Niemand stellte ihm ein Bein.
     
    Alexander zahlte: Wohin er die Zeitungen tun kann, fragte er die an sich ganz nette Kellnerin. Das weiß sie doch nicht, sagte sie. Also ließ er sie liegen und ging, ohne Trinkgeld zu geben, davon. Vor einem Schaufenster standen Leute und guckten sich Modepuppen an. Irgendeine Bewandtnis hatte es mit diesen Puppen: Die Menschen lachten! - Da sah Sowtschick, daß das keine Puppen, sondern lebendige Menschen waren, Models in der Pose von Schaufensterpuppen. Still und sich nicht bewegend starrten sie in die Gegend, ein Preisschild am ausgestreckten Finger.
    In einem Andenkenladen fand er hübsche Doorknocker in Form von Eulen, Blumenkörben, Amphoren. Er wählte einen in Form eines Segelschiffs. Leider standen da auch Heiligenbilder, zehn Stück, die aufs Haar dem mexikanischen Heiligen glichen, den Alexander in Mexiko gekauft hatte, wenn sie auch erheblich teurer waren.
     
    Alexander ging durch allerlei Nebenstraßen. Da wurden Waren angeliefert, und ein Geschäftsmann fragte ihn nach dem Weg. Gern wäre er mit der Cable-Car ein Stück gefahren, hätte sich zünftig draußen drangehängt - fast siebzig, aber draußen am Cable-Car hängen, das konnte er noch - aber er wußte nicht, wie das mit dem Bezahlen ist. In die Kettenfurche zu treten, das wäre nicht ratsam, hatte man ihm gesagt.
    «Die Straßen von San Francisco», in den Filmen kamen die Cable-Cars vor, und die Serpentinenstraßen mit der enormen Steigung, kleine nette Häuschen, eines neben dem anderen. Alexander nahm ein Taxi und fuhr einmal hinauf. Und oben:«Nun bitte wieder hinunter!»- Der Taxifahrer schimpfte, er hat schließlich was anderes zu tun, als hier nur rauf- und runterzufahren! Vielleicht hatte er auf eine große Tour gehofft?
     
    «Deutsche Wochen»stand auf einer Museumsfahne. Eine«Exhibition»deutscher Bilder wurde darauf angepriesen, erstmalig in den USA!
    «Gar nicht gewußt, daß die Deutschen so gut malen können?»Das war der Tenor in den Zeitungen. - Man muß auch vergeben und vergessen können, das stand da nicht drin.
    Alexander ging also ins Kunstmuseum. Es war leer in den Sälen, er konnte sich hier zum ersten Mal Bilder im Original ansehen, eines neben dem anderen, die er aus Bildbänden und von Postkarten her kannte. Er versuchte die Maler zu erraten, Caspar David Friedrich? Moritz von Schwind? Ludwig Richter? Immer wieder bückte er sich zu den Schildchen hinunter:«Ah,

Weitere Kostenlose Bücher