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Letzte Gruesse

Titel: Letzte Gruesse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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Ecke, der bot seine Dienste an. Wer so was macht, den solle man gleich aufhängen!, sagte er gelassen. Keine Ahnung habe er, wer das gewesen sein könnte. Hier trieben sich viele Leute herum, die er nicht kenne. Gesindel … Und mit den Leuten da drüben, vom«Wiener Schnitzel», sei nicht gut Kirschen essen, aber er wolle nichts gesagt haben.
    Tennhoff erklärte dem Mann immer wieder, er sei doch gar kein Deutscher, ein Dutchman sei er!«You understand?»Holländer! Aber das half alles nichts -«Mitgefangen - mitgehangen», dieses Sprichwort fiel Alexander ein, obwohl das in diesem Fall gar nicht so recht paßte.
     
    Innerhalb einer halben Stunde war der Schaden behoben. In der Garage hatte der Wirt Reifen jeder Größe vorrätig. Auch die Hakenkreuze wurden entfernt. Schlimm, wenn man mit den Dingern durch die Gegend hätte fahren müssen!
    Sowtschicks Angebot, die Hälfte der Kosten zu tragen, wurde von Tennhoff diesmal nicht zurückgewiesen. Es schien sogar so, als wollte er eine komplizierte Rechnung aufmachen, nach der zwei zu eins geteilt werden sollte. Schließlich habe das Einstechen der Reifen doch ihm als Deutschem gegolten …
    Hier stellte sich Alexander taub. Wenn Tennhoff sich nach seinen Romanen erkundigt hätte -«Hetzjagd in Andante»-, dann hätte er durchaus mit sich reden lassen. Aber so guckte er einigermaßen stur in die Gegend, die Hand fest um die Brieftasche gespannt.
    Auf der Rückfahrt waren die Herren wortkarg. Mit Rilke war es nichts mehr, und Alexander sah es nicht ein. Nur einmal kam es noch zu kurzem Gedankenaustausch: Der Motor stotterte. Kein Benzin mehr? Um Gottes willen! - Der Tank ließ sich ohne weiteres auf«Reserve»stellen.
    Man schwieg. Nur Tennhoff erinnerte sich in einer Aufwallung noch einmal kurz daran, daß ein deutscher Soldat seiner Mutter das Fahrrad entrissen hatte, dann wurde geschwiegen. Links Sandberge, rechts Sandberge und dazwischen die Straße, immer geradeaus mit gelegentlichen Schwüngen.«Das Asphaltband», wie Journalisten es ausdrückten.«Unruhig in unruhiger Zeit.»Sandberge, die aus Trillionen verschiedenartiger Kristalle bestanden, aber niemand hätte sich daraus eine Krone machen wollen.
    Beide sahen starr auf den Benzinanzeiger, vielleicht schafften sie es ja.
     
    Zu Hause wusch Alexander sich erst einmal die Hände, und dann wurde er auch schon abgeholt, und in einer dunklen, kühlen Halle las er ein wenig aus seinen Romanen, blätterte vor und zurück, bis er das Richtige fand. Und hinterher dachte er, ich hätte doch besser was anderes lesen sollen …
    Wie ein Pelikan mache ich es, ich füttere die Jungen mit meinem Blut, dachte er.«Aber sie merken es nicht.»
     
    Alexander ging am Waldrand entlang nach Hause. Obschon es dunkel war, konnte er das gefahrlos tun. Seine Dollars trug er zwar im Gürtel, aber dies hier war nicht der Central Park in New York, und er war keine Bibliothekarin …
    Die Autos, die ihn überholten, stoppten immer ein wenig ab: Was das für eine Type ist, die da herumstrolcht?
     
    Im Park wurde noch Tennis gespielt, klick-klack, unter den großen, weit ausladenden Bäumen hingen Lampen, die pendelten im Seewind hin und her.
    Alexander wollte die Tür aufschließen, aber der Schlüssel paßte nicht, er hatte den falschen Bungalow erwischt. Einer sah wie der andere aus, so was konnte schließlich passieren … Einen Augenblick fürchtete Alexander, es könne jemand von innen öffnen, aber der Bungalow war unbewohnt.
     
    Er setzte sich noch etwas auf den Bootssteg, in der Ferne die Lichter des Tankers und unter sich das atmende Wasser, gefüllt mit unendlich vielen Lebewesen …
    Die Studenten hatten gesagt, ihre Semesterarbeit müsse zweitausenfünfhundert Wörter umfassen.«Wörter?»dachte er, Wörter! Zweitausenfünfhundert Stück - war das viel? Und er rechnete aus, wie viele Wörter er bereits in die Welt entlassen hatte. Myriaden!, dachte er - es sind Myriaden, und von unterschiedlichster Art. Immer dieselben Wörter sind es, die man benutzt, erst im Zusammenhang entfalten sie ihre Bedeutung.
     
    Unter dem Steg ragte ein Rohr hervor, es tröpfelte, und plötzlich schoß ein Strahl heraus und ergoß sich ins Wasser.
    Wie viele Sprachen mag es geben auf der Welt?, dachte Alexander. Holländisch, Russisch, Chinesisch … Und alle Menschen reden unausgesetzt! Wo bleibt das alles?
    Nun doch schade, daß am Steg kein Boot lag, er hätte damit zu dem Tanker hinüberrudern können.
     
    Während der Lesung hatte

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