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Letzte Gruesse

Titel: Letzte Gruesse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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natürlich, Ludwig Richter …»Und er schlug sich vor den Kopf. Der«Brautzug im Frühling», klar, dieses Bild kannte er doch aus seinem Schullesebuch! Das hier in Amerika zum ersten Mal im Original zu sehen! In einer Stadt, in der es, wie gesagt wurde, von Homos wimmelte? Vorn das Brautpaar und im Hintergrund auf hohem Berg eine Burg. Kinder laufen vorweg.«Holdselig», dieser Ausdruck fiel Alexander ein. Und ihm fielen die beiden knorrigen Eichen auf, zwischen denen das Brautpaar dahinschritt.
    Sehr abgelenkt wurde Alexander in seinem süßen Erinnern von einer jungen Countryfrau mit Babygestell auf dem Rücken. Die trug verdammt kurze Hosen. Sie beugte sich auch nieder, auch sie wollte wissen, was auf den Schildchen stand.
    «What is this thing called love …»
     
    In einem besonderen Raum herrschte erregtes Gedränge. Hier waren Gemälde ausgestellt, die in Deutschland früher einmal verboten gewesen waren.«Das andere Deutschland»stand auf einem Schild. Und«Entartete Kunst». Dieser Katalog von damals wurde hier verteilt. Die Herstellung des Faksimiles war durch eine Spende der deutschen Industrie ermöglicht worden.«Wider das Vergessen»stand vorne drin.
    Alexander blieb vor dem«Brautzug im Frühling»stehen.«Alles umsonst!»dachte er.«Es ist alles umsonst.»
    Wenn er nur eben mal um die Ecke geguckt hätte, dann hätte er in der besonderen Abteilung ein Bild von Ernst Werner von Kallroy gesehen:«Zwei in einem Boot». Zwei längliche Jünglinge, nackicht in einem Boot stehend, durch Moorwiesen dahinstakend.
     
    Ganz in der Nähe stand es, das Hyatt-Hotel. Hier also wohnte Prack.
    «Sie müssen das Hyatt unbedingt gesehen haben!»hatte es geheißen. -«Woll’n mal sehen, wie der gute Mann wohnt», dachte Alexander. Es hieß vorsichtig sein, damit man dem großen Autor nicht begegnete. Deshalb betrat Alexander zwar nicht gerade auf Zehenspitzen die große Halle, aber doch behutsam.
     
    Die Halle des riesigen Hotels ging durch fünfundzwanzig Stockwerke. Von den Galerien hingen meterlang Hängepflanzen herunter wie in einer Grotte. Alexander fuhr mit dem gläsernen Lift einmal ganz nach oben und guckte hinunter. Unten stand - ganz klein - neben einem Springbrunnen ein Flügel, und der Pianist spielte in das Rauschen eines Springbrunnens hinein«Georgia in my mind»und solche Sachen. Seitlich waren Fernsehlampen aufgestellt, da wurde jemand interviewt. Nein, es war nicht Prack, das konnte Alexander schließlich nach angestrengtem Starren feststellen. Vielleicht war es der Architekt Kim Lei, den man ja auch nicht alle Tage sah.
     
    Alexander saß dann noch lange in der Lobby und sah den lila Neonlift hinauf- und hinuntergleiten, und niemand fragte ihn, was er hier zu suchen hat. Hinübergehen zu den Fernsehleuten und sagen:«My name is Alexander Sowtschick …»? Keyserling-Ring und so weiter und so fort … Vielleicht wären die Leute ja ganz dankbar, wenn sie ihn bei der Gelegenheit für ihr Archiv aufnehmen könnten.
    Der Pianist spielte das altbekannte«Lullaby of Birdland», das berührte Alexander heimatlich. Immerfort hätte er das hören können. - Der«Brautzug im Frühling»und«Lullaby of Birdland». Beides gehörte für Alexander Sowtschick irgendwie zusammen.
     
    Gern hätte er gewußt, wie viele Menschen in diesem Hotel schon Selbstmord gemacht haben. Von ganz oben hinunterspringen? Leute, die in den Tod springen, schreien nicht, hieß es. Ob es Menschen gegeben hatte, die von einem solchen Körper getroffen worden waren?
    Alexander sah, daß in der einundzwanzigsten Etage ein Herr hinunterguckte zu ihm, mit dem er ganz gern gesprochen hätte. Wenn man einander auch nicht sehr schätzte, so war man doch aus dem gleichen Stall. Hinaufschweben zu ihm, wie die Artisten im Varieté. Das Stahlseil blitzt im Scheinwerferstrahl einmal kurz auf. Man schließt sich in die Arme und gleitet gemeinsam in die Tiefe.
    Oder wartete der da oben nur ungeduldig, guckte glotzäugig herunter, wann die TV-Leute fertig sind, damit er endlich drankommt? Jetzt glitt in dem Lift die Institutssekretärin hinauf, die hatte wohl was zu besprechen mit dem Mann.
     
    Alexander verließ das Hotel. Nicht gerade so flink, wie der Dieb aus dem Kaufhaus es getan hatte, und ihm folgte auch niemand, keine Verkäuferinnen, und ein bellender Hund mit nachschleifender Leine schon gar nicht. Er schritt gelassen von dannen, mit erhobenem Kopf, aber doch stetig.
     
    Am Abend wusch sich Alexander gründlich die Hände und zog

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