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Letzte Gruesse

Titel: Letzte Gruesse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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der Mann sich an den Hut stecken. Aber einen Prachtband über den Krieg 70/71 nahm er mit, auf dem Deckel preußische Kavallerie in heldischer Positur, vergoldet! Franzosen niederreitend. Ziemlich groß und schwer das Dings, aber billig. Alexander konnte nicht widerstehen. Er kaufte das Buch und nahm sich vor, noch einmal vorzusprechen in dem Laden, vielleicht würde es ja doch etwas über Bomberpiloten geben.
    Im Hotel kam der Portier aus dem Gitterkasten gelaufen und reichte ihm seinen Fotoapparat, den hatte er im Taxi liegenlassen. Herr Goldwater war zurückgekommen und hatte ihn abgeliefert.
    Sowtschick schrieb das ins Notizbuch, daß ihm das sehr komisch vorkommt, er hat gedacht, ihm wird gleich die Brieftasche gestohlen, und nun erlebt er hier so was! Man trägt ihm seinen Fotoapparat hinterher! In New York, wo unentwegt die Polizeisirenen heulen!
     
    Daß er in einem kleinen Lokal zwei ausgezeichnete Hamburger gegessen hat, schrieb er auch ins Notizbuch, und daß ihm die Leute hier alle so vertraut vorkommen, nicht anders als in Eppendorf, vertrauter vielleicht sogar als in Eppendorf. Aber ob die Menschen dort auch so ehrlich sind wie hier in New York, das sei noch sehr die Frage! Und daß er neugierig ist auf dieses Land, in dem die alte europäische Kultur bewahrt wird und am Leben gehalten. Die Jagdsonate von Mozart, in den Häuserschluchten widerhallend … In einem französichen Film war sie zu hören gewesen, in Sassenholz wieder und wieder gespielt worden, und nun hier in New York? Immerhin: Mozart!
     
    An der Fensterklappe lauschte er, ob er vielleicht noch etwas Mozart zu hören bekäme. Nein, der Klavierspieler hatte aufgehört. Dafür war im TV ein Gottesdienst zu sehen, ein Prediger in hellgrauem Anzug, und mitten in der Kirche ein Springbrunnen, den bunt gekleidete Choristinnen umschritten, dazu ein Orchester von fünfzig Xylophonen, das den Pilgerchor spielte, und die Fontäne ging dazu im Takt rauf und runter. Erst sah er sich den Gottesdienst an, dann Heavy-weight-Boxen.
    Er lag auf dem Bett, vom gepolsterten Kopfteil des Bettgestells Abstand haltend, weil sich dort die Spuren fettiger Frisuren als dunkle Flecken abzeichneten. Er ließ den Fernsehapparat flimmern, und er flipperte sich an den Bildern entlang von Kanal zu Kanal, bis es wieder von vorn losging.
    Dann griff er zum Telefon und wählte eine endlos lange Nummer, über die er Sassenholz erreichte. Aber Marianne meldete sich nicht.
    «Also abgeschwirrt, höchstwahrscheinlich mit der Schamlippe nach Hamburg gefahren. Sitzt in der ‹Grotte› und ißt Fasanenbrüstchen …»- Sowtschick rechnete nach. Nein, nicht Hamburg, das war ja noch viel zu früh am Tag. Also noch einmal versuchen, eine Viertelstunde später. Und noch und noch … Schließlich wurde abgenommen. Marianne war außer Atem, sie komme gerade aus dem Keller, die Abwasserpumpe habe ihren Geist aufgegeben, und der Klempner kommt nicht,«es dauert nicht mehr lange, und der ganze Keller ist überschwemmt …»Wie spät es jetzt in Sassenholz sei, fragte Sowtschick, und daß er gut gelandet ist.«Erste Klasse! - Stell dir das mal vor!»Das sei ja fein, sagte Marianne, aber nun müsse sie wieder hinunter in den Keller und auffangen das Wasser, wie es da überpladdert … Ob er wisse, wo die Gummistiefel stehen?
    Wie die meisten Telefongespräche, die die beiden Ehegatten miteinander führten, endete auch dieses mit einem Mißklang. Wie lange Marianne auch immer mit Schitti, Klößchen oder ihrer Freundin telefonierte, mit ihrem Ehemann machte sie gern kurzen Prozeß.
     
    Sowtschick ließ sich kopfschüttelnd auf seine fettige Blumenwiese gleiten, blätterte in dem 70/71-Buch und las von blutigen Ereignissen, die alle Welt längst vergessen hatte. Dann schlief er ein.
    Die Ruhe sollte nicht von langer Dauer sein. Erst kniff es ihn in den Kaldaunen, dann stieg in ihm gelbliche Übelkeit auf, die immer drängender wurde: Kein Zweifel, sein Körper wollte die Mayonnaise nicht annehmen, also öffnete er den Mund und gab sie wieder von sich. Es ward eine gründliche Opferung. Andächtig vor der Kloschüssel kniend, handelte Alexander nach der Devise: Wenn einem schon schlecht ist, dann soll man auch kotzen, und er tat es ausgiebig, sozusagen restlos. In den Pausen betrachtete er sich im Spiegel, ob in seinem Gesicht Spuren dieser Tortur sichtbar wären: Sein Gesicht war nicht blaß, es war eher gerötet. Wieder und wieder mußte er opfern. Schließlich war ihm, als ob von unten

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