Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Letzte Gruesse

Titel: Letzte Gruesse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
Vom Netzwerk:
abgeräumte Mensa und bestellte ein Eis, und er erzählte einem japanisch aussehenden Jüngling, der Weißbrotscheiben mit flüssiger Butter bestrich, wie er heißt und daß er aus Deutschland ist und hier heute einen Vortrag halten soll … Er begreift gar nicht, wie so etwas passieren kann. Er kommt aus Deutschland extra nach Philadelphia, um einen Vortrag zu halten, habe sich verlassen auf schriftliche Abmachungen, wie das in zivilisierten Ländern üblich ist … Er meine, wenn so was auf der Liste steht, dann steht es auf der Liste!
    Ja, er weiß auch nicht, sagte der Japaner. Ob er noch ein Eis will?
     
    Es verging eine halbe Stunde nach der anderen - Sowtschick war inzwischen dazu übergegangen, hin und her zu laufen, von Tür zu Tür und um die Tische herum, soweit das möglich war.
    Er hätte zurückkehren sollen in sein gemütliches Hotelzimmer und in Ruhe abwarten, was sich tut. Andere Autoren hätten das getan, die Butt-Prömse mit ihrem Whisky … Ein Mann wie Schätzing hätte sich über seine lyrischen Definitionen gebeugt. Diesen Leuten war ja alles egal.
    Auf alle Fälle höflich sein, wenn sich die Sache entwirrt! Das nahm Alexander sich vor, ein Beispiel geben für mitteleuropäische Gelassenheit!
     
    Dann war es soweit. Die Tür wurde aufgestoßen, und ein Herr mit Hörgerät und großkariertem Jackett stürzte herein und überschüttete Sowtschick mit Vorwürfen. Wie er dazu kommt zu behaupten, daß er hier ein Meeting hat, er wisse von nichts! Den Namen Sowtschick höre er zum ersten Mal!
    Da er nicht Auto fahren konnte, hatte Richmuller sich von einer Kollegin, einer blassen, rothaarigen Österreicherin, hierherkutschieren lassen müssen, und somit war auch ihr der Abend versaut … Die Frau sagte denn auch laut und deutlich:«Dös kahn jo gor nicht ahngehen …»und sah den Deutschen, der hier herrisch und fordernd vor ihr stand, sehr österreichisch an.
     
    Nun platzte Sowtschick aber doch der Kragen, Gentleman hin oder her, und er rief: So etwas sei ihm überhaupt noch nicht passiert: Budapest! Berlin! London! Überall gastlich aufgenommen, und hier nun das! - Der Tisch war zum Draufhauen leider eine Idee zu massiv, da klirrte und schepperte nichts … Sein Schimpfen kletterte die Fistelstimme hinauf, und es gab aus der Halle ein häßliches Echo.
    Beide holten sie ihre Papiere heraus: Richmuller seinen Terminkalender und Sowtschick den Reiseplan des Institus. Und sie verglichen sie unter Händezittern, erregt, wie sie waren: Bei Sowtschick stand’s groß und breit:«Universität Philadelphia 8 p. m. / Prof. Dr. Richmuller.»Aber im Terminkalender von Richmuller stand nichts dergleichen.
    Die Österreicherin setzte eine verächtliche Miene auf: ein Deutscher, und noch dazu ein Norddeutscher! … Da sieht man’s mal wieder … Haben uns in den Krieg hineingezogen, Erster und Zweiter Weltkrieg, von Königgrätz gar nicht zu reden … Eine Eintragung fand sich in dem Terminkalender dann aber doch, obwohl die Österreicherin im letzten Augenblick noch den Daumen drüberzuschieben suchte: Sie befand sich eine Seite weiter, im November , groß und breit, also einen Monat später. Richmuller hatte es falsch eingetragen! Das ward nun offenbar.
     
    Man entspannte sich, rutschte die Stühle zurecht -«so etwas ist mir noch nie passiert …»-, orderte Kaffee bei dem japanisch aussehenden Typ, der fortfuhr, die Brotscheiben mit flüssiger Butter zu bepinseln, und die Studentin hinter dem Tresen wandte sich wieder dem Fernseher zu.
    Der Rumäne, der Zeuge der Verwirrungen gewesen war, stand hilflos daneben: vielleicht voll Sorge, daß ihm sein Eifer übel ausschlagen würde.
    Sowtschick entspannte sich und sagte:«Mir ist im Prinzip alles egal. Sie können machen, was Sie wollen - Hauptsache, Sie bezahlen das Hotel, und ich kriege mein Honorar, und zwar cash, bar auf die Hand …»
    Dieses wurde sofort zugestanden, obwohl die Österreicherin dem Professor sehr ins Hörgerät tuschelte.
    Morgen früh werde er wiederkommen, sagte Richmuller, und Geld bringen und ihn persönlich zum Flugplatz begleiten, obwohl er grade was anderes vorhat, etwas ganz Dringendes.
    Alexander legte sich ins Bett. Von da aus konnte er in einem Spiegel sehen, wie er den Kopf zwischen die Kissenzipfel gebettet hatte. Das ganze Zimmer sah er im Spiegel. Die rotbraune Wandtäfelung, die falschen Lüster an den Wänden, seine Mehrzweckjacke am Haken, die hamburgische Mütze. Der Anzug lag über dem Stuhl.
    Die Krawatte war nun

Weitere Kostenlose Bücher