Letzte Gruesse
nichts, in der Tür erschienen verschiedene Kinder - alle Türen dieses Hauses standen offen - und betrachteten ihn. Sie kamen näher, und ein Junge versuchte, die Jalousie herunterzulassen, damit Sowtschick es nicht so hell hat. Die Mädchen holten Decken herbei, Kopfkissen, und dann standen sie neben der Couch und betrachteten ihn, ob er es bequem hat und wie lange es wohl dauert, bis er eingeschlafen ist.
Von draußen drang das Kaffeetafelgeräusch herein. Man hörte Jim, John und Jack laut lachen und die Frauen Lizzy, Alice und Susan ebenfalls. Das ging immer so hin und her, und ab und zu auch im Akkord, wenn einer ins Schwarze getroffen hatte. Die Kinder guckten ihren Gast unverwandt an. Also bewegte Alexander seine große Zehe, bis sie es mitkriegten, daß er wach ist. Sie zogen an ihm herum und schoben ihn in den Garten und zeigten ihn der Allgemeinheit. Er wurde lärmend empfangen: Ob es ihm nun besser geht? Und dann legte man ihm ein Stück Kuchen vor, mit grünem Zuckerguß überzogen, und die Kinder sahen zu, ob ihm das schmeckt.
«Donnerwetter ist das süß!»sagte Alexander.
«Die Amerikaner haben einen süßen Zahn!»antwortete Buckrice.«Daran müssen Sie sich gewöhnen.»
Daß es in Amerika ein so hübsches Städtchen gibt, mit so hübschen Häusern, das hatte er nicht gedacht.
«Ja, und wir sorgen auch dafür, daß das so bleibt», sagten die Leutchen. Sie hatten einen Verein für viktorianische Häuser gegründet, organisierten Studienfahrten und ließen sich aus England Buntglasfenster kommen, wenn mal was kaputtging. Daß er in seinem Haus auch Buntglasfenster hat, ebenfalls aus England, aber natürlich nicht so schöne, sagte Sowtschick, und das war denn ja auch ganz interessant.
Es wurde ihm warm ums Herz in dieser freundlichen Runde. Er rief die Kinder herbei und sagte:«Wer schielen kann, bekommt ein Zertifikat, und wer mit den Ohren wackelt, zwei.»Insbesondere das Schielen machte allen Spaß, und auch die Erwachsenen taten mit. Das Ohrenwackeln war weniger spektakulär. Frau Buckrice konnte ihre Nase gar mit der Zungenspitze berühren, und davon hatte nicht einmal ihr Mann etwas geahnt! Der Kleinste fing plötzlich an zu weinen: Er konnte nicht schielen! Alle umstanden ihn und zeigten ihm, wie’s gemacht wird, hielten ihm einen Finger vor die Nase und so weiter … Wenn in diesem Augenblick jemand des Wegs gekommen wäre, der hätte sich sehr wundern müssen.
Als es so recht gemütlich war, die Herbstsonne erwärmte die Gesellschaft - im Winter die Schneemassen, fürchterlich! -, holte Buckrice seine Gitarre aus dem Haus und fing ungeachtet dessen, daß der Nachbar seinen Rasen mähte, an zu singen:«Good Morning, America …»
Wie schade, dachte Alexander, daß man nicht singen kann:«Guten Morgen, Deutschland …»Ein solches Lied gab es nicht und würde es nie geben.
Jeder mußte was darbieten, mancher sang auch ein deutsches Lied, zu Ehren des Gastes, natürlich«Isch waiß nisch, was soll es bedeuten …»und anderes Liedgut, das in Deutschland selbst nirgends mehr zu hören war.
Als die Reihe zu singen an Sowtschick kam, war er ratlos. Er konnte zwar schielen und mit den Ohren wackeln, aber: Was sollte er singen, um Himmels willen?«Freut euch des Lebens»?«Im Wald und auf der Heide»? - Er kannte die Texte nicht.
«Singendes Deutschland»- er müsse doch irgendwelche Lieder kennen, sagten die Gastgeber. Das nahmen sie ihm nicht ab, daß er nichts zu singen weiß.
… Sommer will uns wieder bringen
grünen Wald und Vogelsingen …
Dieses Lied hätte er gern gesungen, aber er hatte nur eine vage Ahnung davon. Er wußte nicht, wie’s anfing und wie’s weiterging.
In seiner Not entschied er sich für:«Der Mond ist aufgegangen …»Da gab es ein freundliches Gelächter: Am hellen Tag ein Abendlied? Das war schon etwas Lustiges! Immerhin holte Buckrice sein Saxophon und begleitete das Lied, und das klang sehr merkwürdig. Anschließend wurde über den Mond gesprochen, die Apolloflüge und daß die Chinesen es bis heute noch nicht wissen, daß Menschen den Mond betreten haben. Keine blasse Ahnung!
Bei der Gelegenheit kam heraus, daß Buckrice Vietnamflieger gewesen war, das wurde Alexander zugeflüstert. In Vietnam hatte er Wälder entlaubt, und das ginge ihm heute noch nach, wurde gesagt. Buckrice, der an den Knöpfen seines Saxophons spielte, mochte es merken, daß über ihn gesprochen wurde. Er ging in die Küche, holte ein Putzmittel und begann
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