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Letzte Gruesse

Titel: Letzte Gruesse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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auch schon ein Erinnerungsstück. Nicht gerade lieb und wert, von«heilig»nicht zu reden, aber immerhin.
    Bevor er das Licht löschte, nahm er sein Notizbuch und schrieb es ein, daß ihn auf dem Airport von Philadelphia niemand abgeholt hat. Und wie komisch im Grunde alles gewesen sei. Bei allem, was einem begegnet, habe man die Wahl, entweder aufzuschreien oder zu lachen. Er habe beides getan.
    Leider hatte er vergessen, sich bei dem Studenten zu bedanken, nun, das würde man irgendwann mal nachholen … Am Ende geriet dessen Weltbild nun durcheinander!

13
    Auf der nächsten Station wurde er freundlich empfangen: Vor dem Flughafen erwartete ihn der zuständige Professor mit seiner ganzen Familie. Er heiße Buckrice, seine Frau Lizzy und die drei Kinder Joe, Pitt und Ann. Das Jüngste trug die Frau folkloristisch auf der Hüfte.
    In einem VW-Bus fuhren sie in das Städtchen ein, kleine Umwege nehmend, damit Alexander es auch mitkriegt, wie schön es hier ist: hübsche viktorianische Häuserchen, mit Türmchen, Erkern, Buntglasfenstern und Wetterfahne auf dem Dach. Alexander sagte denn auch sofort:«Hier bleibe ich, so ein Haus kaufe ich mir, und dann hole ich Marianne nach, und alle können mich mal gern haben.»
     
    Buckrice fuhr Alexander ins Hotel, rasch ausladen, schnell, schnell, schnell, und dann gleich wieder los, die imposanten Universitätsgebäude, ein weitläufiges Gelände, auf dem Menschen zu sehen waren, die Tennis spielten. Dann andere viktorianische Häuschen ansehen und die Kirche, ebenfalls ein Gebäude der Jahrhundertwende: Der Schriftsteller kommt aus Deutschland, der will schließlich was sehen. Und: Wir brauchen uns nicht zu verstecken!
    Buckrice erzählte, daß er jedes Jahr in Deutschland sei, am Bodensee, Konstanz und Lindau - und immer freundlich aufgenommen. Aber das Bibliothekssystem katastrophal! Machten um achtzehn Uhr zu! Hier könne man noch um Mitternacht Bücher einsehen.
    Auch er bewohnte eines dieser kleinen englischen Schlößchen, mit Veranden und Türmchen, sauber herausgeputzt. Im Garten war eine Kaffeetafel gedeckt, und allmählich trudelten Gäste ein, Gräzisten, Romanisten, Mediavisten, allesamt mit Frauen und Kindern, die alle den Gast aus Deutschland begrüßen wollten: Sie sagten«John»und«Jim»zueinander und reichten Alexander die Hand und sagten, daß sie«John»und«Jim»heißen. Wo er herkommt, fragten sie ihn, und wie lange in Amerika, wann er wieder heimreist und wie es ihm hier gefällt.
    Germany bezeichneten sie als nice, und sie konnten alle Deutsch und sprachen es auch.
     
    Sowtschicks Mißgeschick in Philadelphia interessierte sie, Richmuller sei ein guter Kollege, spezialisiert auf Alt-Niederdeutsch, ein gescheites Haus, ein bißchen zerstreut, aber sonst ganz in Ordnung. Daß er vergessen habe, Alexander abzuholen, sei typisch für ihn. Aber, wie gesagt, ein guter Mensch, hat drei Kinder adoptiert, und dann ist ihm die Frau weggelaufen … Auch nicht so einfach.
     
    Sowtschick wurde von all dieser Freundlichkeit etwas schwach ums Herz, er bat darum, sich ein paar Minuten hinlegen zu dürfen. Die Couch, auf der er sich lagerte, stand im Studierzimmer des Herrn Buckrice, auf dem Schreibtisch ein Computer und in der Ecke ein Saxophon. An der Wand hing ein Sammelrahmen mit Bildern der Droste und Privatfotos aus Meersburg, die Burg von hinten und von vorn, von oben, unten und von der Seite. Auf die Droste war Buckrice spezialisiert, und seine Studenten waren gut beraten, wenn sie etwas gelesen hatten von ihr.
    Das hatte Alexander nun nicht - an die Ballade«Der Knabe im Moor»erinnerte er sich aus seiner Schulzeit. - Er war mal in Meersburg gewesen und hatte in der Burg die Räume der Dichterin besichtigt und gedacht: Das bleibt übrig? Ein paar Scherenschnitte und eine karge Bettstatt? -«Von mir soll mehr übrigbleiben», dachte er und stellte sich vor, daß immerfort Omnibusladungen von Touristen durch sein Haus geschleust werden würden. Halle, Saal, Galerie und Schwimmgang … Etwas mehr als eine karge Bettstatt und Scherenschnitte würden sie in Sassenholz zu sehen kriegen. Vitrinen mit Brille, Pfeife und Gebiß? Hier hat er immer gesessen, wenn er seinen Tee trank, das Kissen ist noch immer dasselbe? Warum nicht einen kleinen Shop einrichten und dort seine Bücher verkaufen, Postkarten und Fotos seiner Totenmaske? Golfmützen allerdings dürften dort nicht feilgeboten werden, das würde testamentarisch zu verfügen sein.
     
    Aus der Ruhe wurde

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