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Letzte Gruesse

Titel: Letzte Gruesse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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    Dann führte Sowtschick aus, daß das Schreiben von Romanen gar nicht so einfach sei: Man müsse eine Bauskizze der Fabel entwickeln, in die dann die vielen Einzeleinfälle einzugießen seien wie in eine Form … Er warf eine solche Bauskizze an die Tafel, farbige Kreide war leider nicht zur Hand …
    Mit Befremden wurde das aufgenommen, was er da an die Tafel zeichnete, die Pfeile und die Kreise … Inspiration vermißte man. Wo bleibe die Inspiration? - Sie war durch Pfeile und Kreise nicht sichtbar zu machen.
    Abgesehen davon, daß ein Bauplan ebenfalls des Einfalls bedürfe - auch mit Inspiration könne er dienen, sagte Sowtschick, und er verdeutlichte das an einem Beispiel, das er sich nun anschickte zu extemporieren: ein zögerndes Klingeln an der Tür und die Überraschung, daß es sich um angenehmen Besuch handelte, um junge Leute, ein Teetrinken im Innenhof sodann und langes Klavierspiel in die Dämmerung hinein. Und dann konfabulierte er, was sich alles aus einer solchen«Störung»ergebe, und er guckte aus dem Fenster, als er davon erzählte. Und als er endete,«wachte er gewissermaßen auf», und die Zuhörer wollten gerne wissen, wie es weitergeht …
     
    Am Nachmittag gab es Amish People zu besichtigen, die hier in der Gegend ihre Territorien hatten, das war ihm schon in Sassenholz in Aussicht gestellt worden, als man ihm die Reise schmackhaft machen wollte: Mennoniten, glaubensstrenge Menschen, sogenannte Täufer, die vor Jahrhunderten wegen ihres Glaubens in die Neue Welt ausgewandert waren und seit dieser Zeit noch immer in religiösem Eigensinn verharrten …
    Amish People sollte er zu sehen kriegen, wie man es ihm versprochen hatte, schließlich wollte man dem Gast einiges bieten. - Man sehe sie hin und wieder auf Flughäfen oder auf Bahnhöfen, hier aber gebe es sie en masse, und das eben müsse man gesehen haben.
     
    Der volleibige Professor, der hier sein Gastgeber war - Howart hieß er -, wuchtete sich ins Auto, seine feingliedrige Frau stieg hinten ein. Erst noch gehörig tanken - das sei auch so eine Sache, neuerdings weigere sich die Universitätsverwaltung, die Benzinkosten für Besucherfahrten zu ersetzen, sagte er. Und dann fuhren sie dahin, und während sie dahinfuhren, gab der Mann Sowtschick Auskunft über das sonderbare Völkchen, im achtzehnten Jahrhundert aus Deutschland intolerant vertrieben, ausgewandert und dann hier gelandet.
     
    Dann ab auf den Highway und weiter Auskunft erteilen über diese Volkstumsabsplitterung:«Diese Leute leben wirklich drei Meilen hinter Weihnachten …»Daß sie ihr Leben auf die Bibel gründeten, aufs Neue Testament. - Was nicht im Neuen Testament steht, gilt nicht. Im letzten Krieg keine Waffe in die Hand genommen! Und das sei von den Behörden sogar akzeptiert worden, zunächst schikaniert, dann aber«Okay!»gesagt, weil nichts zu machen war gegen ihren Starrsinn. Des Menschen Wille ist sein Himmelreich.
    «Unter diesen Leuten werden Sie keinen Bomberpiloten finden …»
    Das Neue Testament als papierener Papst.
    «Keine Elektrizität, kein Telefon, kein Auto. Schwarze Kleidung und immer mit schwarzem Hut.»Keine Knöpfe, nur Häkchen: Die Hosenträger dürften nur an zwei Stellen befestigt werden, vorn und hinten ein Häkchen, und der Riemen diagonal über Brust und Rücken gespannt. Gürtel seien verboten.«Wer sich einen Gürtel umbindet, wird sofort ausgeschlossen aus der Gemeinschaft, der kriegt nie wieder einen Fuß auf den Boden.»Das alles habe mit dem zu tun, was sie«sittliche Glaubensfrucht»nennten.
     
    Sie fuhren dahin, dahin, im Radio Football und ab und zu ein Fetzen 7. Sinfonie. Country und Swing der alten Art. Und was der dicke Herr Howart nicht wußte, das konnte seine Frau mitteilen. Daß sie einiges von ihm gelesen habe, sagte sie, nicht alles, um Gottes willen, aber sie habe einen Onkel in Deutschland, der habe ihr gesagt, Sowtschick, also ja, den kennt man in Deutschland, der hat eine Menge geschrieben.
    Ob er im Augenblick mit irgend etwas schwanger gehe? Mancher Dichter tue sich doch ziemlich schwer, und er mache einen so leichtfüßigen Eindruck. Ob man Inspirationen, von denen er berichtet habe, provozieren könne? Auf Reisen zum Beispiel. Konnte es sein, daß sie bei«Inspiration»an eine Tube Zahnpasta dachte, auf die man nur zu drücken brauchte?
     
    Von Adolf Schätzing, der demnächst auch kommen werde, gingen andere Geschichten um. Der sei wohl ganz dem Wort verhaftet. Der arbeite Woche um Woche an

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