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Letzte Gruesse

Titel: Letzte Gruesse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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diesem Ausflug lag ein Plan zugrunde: Den Abschluß der Tour bildete eine Auktion, die in einem Versammlungshaus abgehalten wurde. Sauber gewaschene und gestriegelte Kühe, Kälber, Schafe und Schweine wurden auf der einen Seite in Krale getrieben und auf der andern wieder hinaus. Auch Pferde und zum Schluß ein übergroßer Eber. Alexander hatte nicht gedacht, daß es so große Eber gibt. Gegen dieses Tier war er ein ausgesprochener Hänfling.
     
    Der Auktionator rasselte Zahlen herunter wie eine Maschine, und die Männer auf der Empore, allesamt ohne Hut und ohne Bart, Leute von sonstwoher, mit Geldscheinbündel in der Tasche, ersteigerten das Vieh. Scheckkarten waren hier nicht gefragt. Dies Runterrappeln von Zahlen hatte Alexander schon mal im Fernsehen gesehen. Überhaupt, an einen Film erinnerte er sich. Ein junger Mann, der sich in ein Mädchen von außerhalb verliebt … und das geht dann nicht, und die Musik, die wimmert dann so auf …
    Inzucht, wahrscheinlich gab es hier auch Inzucht. Bei Inzucht wachsen die Zähne quer durcheinander, das hatte in seinem Biologiebuch gestanden. Was die hier wohl mit Schwarzen machten, die durchs Dorf gehen? Einfach mal ein paar Schwarze hier durchtreiben oder Chinesen, dann richten sich die Zähne sofort wieder auf.
     
    Hinterher setzten sie sich in ein Festzelt, in dem sich die Leute trafen und sich was erzählten, und sie aßen fabelhaften Pflaumenkuchen. Es war ein reges Kommen und Gehen, die Menschen sahen sich wohl auch nicht alle Tage, hatten sich viel zu erzählen, und man konnte erraten, worum es ging. Alexander gaffte sie ziemlich an und hörte auf ihr Sprechen. Auch er wurde betrachtet und behorcht von den Einheimischen. Und er sprach extra laut, damit sie ihn behorchten und begafften. Die Frauen in ihren Deutsch-Südwest-Kleidern und -Hauben sahen zur Seite. Pferde können bekanntlich die Ohren verstellen …
    So wie man Spatzen anlockt, winkte er ein paar Kinder heran, die vor dem Zelteingang über ein Springseil hüpften, aber die liefen fort. Ob sie schielen können, hätte er sie gern gefragt, oder mit den Ohren wackeln …
    Schließlich kam ein Mann, was er von den Kindern will, er soll das lassen. Und als Sowtschick antwortete, er fände die Kinder niedlich, und er liebt Kinder, und er kommt aus Deutschland, und er hat selbst schon drei Enkelkinder …, hörte der ihm zu, mit schief gelegtem Kopf. Sprach der hier in Kirchendeutsch zu ihm? Fremd, aber doch verständlich? Und er entfernte sich langsam und zeigte es seinen Nachbarn, daß hier ein ganz verflixter Mensch sitzt, keine Ahnung, was mit dem los ist.
    Vielleicht war ihm das ja vorgekommen wie ein Gruß über die Jahrhunderte, ein Gruß aus der eben doch längst verlorenen Heimat.
     
    Wenn mir hier«komisch»würde, daß ich mich setzen muß und nicht weiß, wo ich mich befinde, würden die Amish mir dann aufhelfen?, dachte Alexander, in eines der sauberen Häuser tragen, auf ein sauberes Bett legen und mit besonderen Heilgetränken versorgen? - Oder würden sie sagen: Da sieh du zu? Alexander kaufte einen Laib frisches, noch warmes Brot, kräftiges Roggenbrot. Er wollte Honig kaufen für den Professor und dessen Kinder. Aber der sagte:«Wir haben Honig genug.»
     
    Auf der Rückfahrt saß Alexander hinten und die Frau vorn. Sie fuhren am Friedhof der Amish People vorüber. Der Professor hielt an.«Das wird Ihren Freund Schätzing interessieren», sagte er,«der ist scharf auf alles, was mit Tod und Grab zusammenhängt. »Man hatte schon alles mögliche für ihn vorbereitet. Zu Lyrikern habe man eben doch ein ganz besonderes Verhältnis. Prosa sei doch immer etwas sehr prosaisch …
    Die Zaunpfähle des Friedhofs waren obenauf mit ausgesägten Herzen geschmückt, manche schon zerfallen, andere ganz neu. Alexander brach eins ab und steckte es ein.
    «Was soll denn das?»sagte der Professor.«Sie benehmen sich ja wie der letzte Tourist.»
    «Man kann das auch anders sehen», antwortete Alexander, aber er wußte nicht so recht, wie.
    Die Rückfahrt zog sich hin, das Brot duftete, und Alexander schilderte recht farbig, wie verrückt die Philadelphia-Affäre gewesen war. Steht am Flughafen und wird nicht abgeholt. Was hätte er machen sollen? Wildfremd. Daß der Taxifahrer gesagt habe:«You make me nervous.»
    Dann trat Schweigen ein, man kannte sich im Grunde ja überhaupt nicht. Und während dieses Schweigens betrachtete Alexander den Haarwirbel im Nacken der Frau. Im Auge des Zyklons. Den

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