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Letzte Gruesse

Titel: Letzte Gruesse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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gewackelt, aber daraus könne man keine Schlüsse auf seine Stimmung ziehen.
    Die Frau wußte, daß ganz in der Nähe ein Haus zum Verkauf stand, und es war ja das Natürlichste von der Welt, daß sie durch den Küchenausgang hinausgingen. Eine Straße weiter, eben um die Ecke. Da stand es, das Haus, ein richtiges kleines Schloß, mit Portikus und allerdings zugenagelten Fenstern. Die Tür war offen, und sie gingen hinein und von Zimmer zu Zimmer und sahen sich alles an, und Alexander geriet in Begeisterung.«Ein Saal! Ein Kamin!»Er wußte zwar genau, daß er niemals nach Amerika gehen würde, trotzdem erklärte er der Frau sofort, wie er das Haus einrichten würde, im Turm würde er eine Klassikerbibliothek aufstellen, und er wußte, wo zu speisen sein werde und zu schlafen … Und die Frau stimmte ihm zu, sie würde es genauso machen, komisch, daß sie so ganz dieselben Ideen hätten!
    «Hier setze ich mich hin, die Beine hoch, und dann sehe ich Ihnen beim Rasenmähen zu!»sagte Sowtschick, und sie lachte. Und wie merkwürdig: Gerade in diesem Augenblick fiel es ihr auf, daß seine Krawatte nicht richtig saß, und sie richtete sie ihm. An den Kuchenkrümel in ihrem linken Mundwinkel würde man sich noch lange erinnern.
    Zum Schluß wurde der Keller besichtigt, und der war knochentrocken.
     
    Drüben hatte man das Krocketspiel wieder aufgenommen, und es wurde gestritten, ob die Kugel so oder so gelegen hat, nein so! Und Buckrice war kurz angebunden zu Alexander, als er da wieder erschien, er war ganz verändert. Und als seine Frau erzählte, sie hätten sich eben das Eckhaus angesehen, sagte er nur«Aha?», so als ob ihm das sonderbar vorkomme.
    Schon bald wurden die verschiedenen Wagen gestartet, und die Gäste sausten ab, jeder in seine Richtung.
     
    Spät war es, als Buckrice ihn im Hotel ablieferte.
    Bevor Alexander ins Bett stieg, lieh er sich beim Pförtner eine Badehose und ging ins Schwimmbad hinunter, eine sehr große finstere Betonsache. Es war menschenleer und leider ganz dunkel, eine einzige Leuchtstoffröhre brannte, und das Wasser in dem großen Becken war schwarz. Alexander schwamm ein paarmal unter der niedrigen Decke hin und her und stellte sich vor, daß die Decke sich senkt, langsam, langsam bis auf die Wasseroberfläche senkt und ihn unter Wasser drückt.
    Wenn dir hier was passiert, dann merkt das kein Mensch, dachte er und hielt sich am Beckenrand fest. Er starrte vor sich hin.«Hier kommst du nie wieder raus», sagte er.«Das ist einer von den Kellern, in denen Menschen umgebracht werden.»Beinern vor Traurigkeit stand er da im Wasser, halb drinnen, halb draußen, einen Fuß auf der Treppe. Das Licht der Leuchtstoffröhre flackerte auf dem Wasser, das er mit seinem Schwimmen aufgerührt hatte.
     
    Alexander lieferte die Hose wieder ab. Im Kiosk war allerhand Krimskrams zum Kauf ausgestellt, darunter auch Salzfässer in Form kleiner viktorianischer Häuser: Im Schornstein waren die Löcher und unten drunter war ein Pfropfen, da tat man das Salz hinein.
     
    Auf seinem Zimmer trank er einen Schluck Wasser und sah im Fernseher den beiden Raben zu, Heckle und Sheckle, wie sie mit einem Rentier ihre Possen trieben.
    Er dachte an Lieder, die er hätte singen können,«Komm lieber Mai und mache …», das fiel ihm ein, das kannte er noch von zu Hause. Aber ein Mailied im Oktober? Das wäre auch nicht gegangen.
    Er lag auf dem Rücken wie auf einem Totenbett. Hatte das Bett Räder?
    «Wie ein Totenbett», dachte er.«Vielleicht setzt sich das Ding in Bewegung, wenn ich schlafe.»

14
    Nächste Station war ein College in freundlicher Umgebung. Zwanzig fröhliche Studenten waren zusammengekommen, die zuvor, ehe Sowtschick auf dem Pult noch seine Papiere hatte ordnen können, einen Sketch zu seinen Ehren aufführten: ein Dichter, der dauernd dichten will und ständig gestört wird … Ja, von Störungen konnte Alexander einiges erzählen, unangemeldete Besuche, die mit Tee versorgt werden mußten und dann drei Stunden blieben und ihn fragten, ob er alles mit der Hand schreibt. Und nie ein Buch von ihm gelesen!
    Wochenlange Logiersachen, ein Professor aus London zum Beispiel, der zuerst sagt, daß er kein Wort Deutsch spricht, und dann fließend, und dumme Witze macht: wie humorlos die Deutschen sind und so fort.
    Und er gab unterhaltsame Storys zum besten, aus seinem bereits anekdotisierten Lebenslauf, der Besuch einer Mädchenrotte zum Beispiel, in den heißen Tagen eines einzigartigen Sommers

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