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Letzte Gruesse

Titel: Letzte Gruesse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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Nackenwirbel des Professors konnte er nicht ausmachen, dem standen die Haare auf dem Kragen.
     
    Vorm Hotel, auf den Stufen, saßen die Howart-Kinder, sie wollten ihre Eltern abholen. Das war nun ein hübscher Anblick, Junge und Mädchen, und Alexander kam es so vor, als kenne er sie schon lange.
    Die Howarts freuten sich auch. Sie denke eben, sagte die Frau, das Brot - vielleicht könne ihr Sowtschick die Hälfte überlassen, es sehe doch recht lecker aus. Und dann sammelten sie ihre Kinder ein und fuhren davon.
     
    Gelegenheit macht Diebe, dachte Sowtschick. Wie das wohl auf Amish heißt?

15
    Weil Sowtschick rechtzeitig den Wunsch geäußert hatte, das Indianerproblem studieren zu wollen, mindestens einmal reinzuriechen, wie er sich ausdrückte, weil er wissen wollte, wie Kanada, eine so große Nation, mit Minderheiten umgeht, lud ihn auf der nächsten Station ein freundlicher Professor zu einer Tour ins Reservat ein. Lustige kleine Augen hatte der Mann, und er tat allerhand in den Gepäckraum, man kann nie wissen … Ihm gefalle es, daß Sowtschick sich für sein Land interessiere und für die Probleme, mit denen der Staat zu kämpfen hat, sagte er. Die Amish People mit ihren Hüten und Hauben hatte Alexander nun kennengelernt, dies hatte sich erledigt, nun also die Indianer.
     
    Um fünf Uhr früh ging’s los.
    Der Pontiac wiegte und wogte den Highway entlang, endlos hinauf, lange hinunter, immer ein weiter Blick in die Runde über Berge und Täler. Wie ihm das gefällt, wurde Alexander gefragt. Die Berge, die Wälder, die Täler?«Look there!»Gut, was? Am Straßenrand stand hier und dort ein Schild:«Attention! Beautiful View!», daß es hier von dieser Stelle aus eine herrliche Aussicht zu genießen gebe: Vor hundert Jahren habe hier möglicherweise ein Goldgräber gestanden und ins weite Land geguckt und an die Heimat gedacht.
    Sowtschick war versucht, mit seinem Kugelschreiber auf eine dieser geschnitzten Tafeln zu schreiben, daß auch er hiergewesen sei, Alexander Sowtschick, Verfasser von Romanen, also ebenfalls ein Goldgräber, allerdings nicht an die Heimat denkend, wie es die Siedler getan haben mochten, die hier durchzogen, sondern eher an seine Zukunft , die er wie eine View über Berge und Täler vor sich sehe, Perspektiven, die jeder Mensch haben muß, sonst kann er nicht weiterleben. Nicht entschlüsselbare Perspektiven.
    Bei den ersten drei Views wurde noch ausgestiegen -«Look there!»und tief ein- und ausgeatmet. Und es wurde gefragt:«Wie gefällt Ihnen das?»Dann wurde nur noch das Fenster runtergekurbelt.«Look there!» Jedesmal auszusteigen, das war eigentlich nicht nötig, und beim nächsten fuhr man dann nur ein wenig langsamer. Vorüberfahren, das reicht ja schließlich, da kriegt man auch’ne Menge mit.
     
    Schöne Aussichten. Auch sonst gab es allerhand zu sehen: einen Pfad, den die ersten Siedler im vorigen Jahrhundert genommen hatten, aus dem Gebüsch kam er heraus, einen Berghang ging’s hinunter, gerade breit genug für einen Maulesel, schon bald verlor er sich.
    «Look there!»
    Und dann die Stelle, wo der Berg nachgegeben hatte. Drei Touristenbusse waren verschüttet worden, der Fahrer des letzten hatte grade eben noch den Rückwärtsgang einlegen können. Ein Parkplatz mit kleinem Klohäuschen war auf dem Geröll errichtet. Die Busse mit den Leichen lagen noch immer darunter. Wahrscheinlich saßen sie noch aufrecht in ihren Sitzen.
     
    Ein stillgelegtes Kupferbergwerk war zu sehen, oben auf dem Berg, und ein Gefängnis unten im Tal, mehr ein Lager, stark gesichert mit Stacheldrahtwänden, in dem Mörder und Halunken sich frei bewegen konnten, wie der Professor sagte.«Look there!»Auch Indianer, denn auch unter Rothäuten gebe es Verbrecher, hier und da, was man aber keinesfalls öffentlich äußern dürfe in diesem Land.
    Der Professor dämpfte die Stimme, als er davon sprach. Ein Gespräch über Gefangenschaft schloß sich an, und Alexander konnte von Rußland berichten, daß ihm ein Kamerad am Stacheldrahtzaun die Gestirne erklärt habe.
    Dann verließen sie wiegend und wogend den Highway, bogen in eine Schotterpiste ein und hielten an. Sowtschick dachte schon, dies geschehe, um ihm Gelegenheit zu geben, gewisse körperliche Bedürfnisse zu verrichten, aber der Mann wollte ihn nur darauf aufmerksam machen, daß hier die Wildnis beginnt!«Jetzt wird’s langweilig!»sagte er.«Stellen Sie sich man schon drauf ein!»Und:«Ein Schritt vom Weg, und Sie sind verloren. Da

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