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Letzte Gruesse

Titel: Letzte Gruesse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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finden Sie nie wieder heraus.»
    Was dann kam, war in der Tat nicht erhebend: Zu beiden Seiten ohne jegliche«View», eine undurchdringliche Wildnis von halbhohen Pappeln und Birken. Meile um Meile.
    «Hier wohnt kein Mensch …»
     
    Immer geradeaus fuhren sie die Schotterstraße entlang, quälend für die Reifen, unter denen kleine Steine wegspritzten. Ab und zu ein überfahrener Skunk und links und rechts Millionen dünner Pappeln, vom schweren Schnee des letzten Winters niedergebogen: Bäumchen, die sich nie wieder aufrichten würden … Immer geradeaus ging es, keine einzige Kurve: Ab und zu ein Verkehrsschild in dieser Einöde: BUMP! Zur Warnung vor Schlaglöchern.
    «Vielleicht kriegen wir einen Elk zu sehen oder ein Deer», sagte der Professor. Elk bedeute Hirsch und Deer Elch , also genau umgekehrt, wie man meinte, daß es heißen müßte.
    «Es gibt hier auch Bären, Luchse, Wölfe und sogar Panther …»
     
    Ein bewegtes Leben hatte der Professor hinter sich. Flüchtling aus Ostpreußen, Medizin studiert, was sich als Irrweg erwiesen hatte, Studium abgebrochen, dann Brandaufseher in den New Territories, wochenlang mutterseelenallein auf einem Turm, nur ab und zu von einem Flugzeug versorgt - auch das eine Art Gefangenschaft -, schließlich Lehrer in einem Indianerdorf. Und nun Professor für neuere Literatur.
    Immer noch ging’s geradeaus. Als Sowtschick schon dachte: Um Gottes willen, worauf habe ich mich eingelassen!, bogen sie in einen Seitenweg ein und hielten an einem See.«Look there!»
    Er war einer der vielen tausend Seen dieses Landes, die sämtlich einen Namen hatten, im Pappelwald verborgen, an denen gelegentlich Angler saßen, denen dann Bären die Tatze auf die Schulter legten, wenn sie gerade an nichts Böses dachten.
     
    Der Professor nahm aus dem Wagen Decken und eine Konserve heraus. Sie setzten sich auf einen Bootssteg, und dann bot der Professor Alexander Austern aus der Büchse an. Mit einem Taschenmesser holte er das Geschlinge heraus. Alexander dankte: Es reichte ihm, daß er sich in New York den Magen an einem Hamburger verdorben hatte. Auf eine weitere Eßerfahrung war er nicht scharf.
     
    Die Sonne schien warm an diesem Tag. Bärengeschichten wurden Alexander aufgetischt. Daß es menstruierenden Frauen verboten sei, das Auto zu verlassen, weil die Tiere das Blut witterten und dann auf sie losgingen. Die Zeit als Brandaufseher auf dem Turm, mitten im Wald, ein ganzes Jahr lang, und mit dem Fernglas den Horizont abgesucht, ob es irgendwo brennt. Einmal pro Woche Post und Verpflegung per Flugzeug!«Ich bin ganz gut zurechtgekommen. Ich brauche keine Menschen. Ich brauche auch jetzt niemanden.»
     
    Der Professor berichtete sodann von seiner Ehekatastrophe. Frau auf und davon, mit beiden Kindern, die er kaum mal zu sehen kriegte … Sie habe ihm einen Zettel auf den Küchentisch gelegt: Good-bye!
    Dann knöpfte er seine Hose auf:«Nun kommt das Schönste!», zog das Hemd aus, Hose, Strümpfe, Schuhe:«Nun steigen wir ins Wasser!»
    Das war Alexander nicht recht. Er war kein Freund vom Freilandbaden, er hatte in Sassenholz seinen geheizten Schwimmgang. Morgens und abends ein paarmal an den Amphoren vorüberschwimmen, eine neben der anderen - das genügte ihm für den Umgang mit der Ursubstanz. Und: im Oktober?
    Es blieb ihm nichts anderes übrig, auch er mußte sich entkleiden und sich neben den Professor bis zum Kinn ins klare Wasser stellen. Es war angenehm warm, dafür sorgte eine rätselhafte Strömung aus der Tiefe. Auf dem festen Grund des Sees glitzerten goldfarbene Kiesel, und es wehte kaum merklich ein kühler Wind. Wasservögel schnatterten, aber sonst war es still wie vor der Erschaffung der Welt.
     
    Die Männer standen nebeneinander im Wasser, ohne zu sprechen, sie flügelten ein wenig mit den Armen. Der Professor mochte an seine Ehe denken, Alexander an den Dünnbrettbohrer … Zwei Köpfe wie auf einer Glasplatte serviert. Auf- und absteigende rote Flüssigkeit in den Kapillaren ihres Gehirns.
    Ein Jäger hätte sich sehr gewundert, die beiden Köpfe auf dem Wasser zu sehen. Ein lohnendes Ziel. Er hätte sie abknipsen können, ohne daß ihm einer draufgekommen wäre.
    Zwei Kugeln, sie rollen davon?
    Achttausend Meilen bin ich gereist, um jetzt hier im Wasser zu stehen, dachte Alexander, im Oktober!, und er sah sich um, ob vielleicht einer aus dem Gebüsch heraus ihnen zuguckt.
    «Ich stehe hier, wie Gott mich geschaffen hat.»
     
    «Im Sommer rasen sie hier mit

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