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Letzte Gruesse

Titel: Letzte Gruesse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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Kultur gegeben werden: Klopstock zum Beispiel oder Herder, und man denke an das Geschenk der Musik, das deutsche Menschen der Welt gemacht hatten. Und die Malerei? Dürer und die Romantiker. Ein vielfältiger kultureller Akkord sollte auf Hauptstadt und Diplomaten losgelassen werden, und zwar derartig, daß die sich möglichst vor den Kopf schlagen.
     
    Daß in Deutschland auch heute noch immerfort Bilder gemalt werden, Musik komponiert und Seite für Seite geschrieben, die Gesellschaft also durchsäuert werde von Geist, müsse endlich mal bekannt gemacht werden der Welt, die es ihrerseits vorzog, sich zu räkeln.
    Das war auch der Grund, weshalb wertvollste Gemälde unter hohen Kosten in klimatisierten, stoßsicheren Kisten herübergeschafft wurden,«über den Teich». Ja, ein ganzes Symphonieorchester hatte man in Marsch gesetzt, und auch Dichter, Ellen Butt-Prömse zum Beispiel, gerade eben von einer durch das deutsche Auslandsamt organisierten Tour rund um die Welt zurückgekehrt und gleich wieder in Marsch gesetzt. Udo Scharrenhejm, der Aufmüpfige, und Adolf Schätzing, dessen Wortkristalle ein wenig an Mallarmé erinnerten, die aber auch wieder ganz anders waren, härter, klarer und, obwohl gar nicht so recht zu kapieren, in viele Sprachen übersetzt.
    Den Autoren war die Rolle zugedacht, das vielleicht zu glatte, glänzende Bild deutscher Kultur zu craquelieren, das Brüchige aufzuzeigen und die ungaublichen Schweinereien, die von Deutschland ausgegangen waren, anzuprangern. Kritik also vorwegzunehmen, die möglicherweise noch immer geäußert wurde, obwohl Deutschland doch längst wieder in den Kreis der Völkergemeinschaft zurückgekehrt war.
     
    Scharrenhejm hatte die Bitte geäußert, hier in den Staaten speziell den farbigen Bürgern etwas vortragen zu dürfen, ein Manifest gegen Rassendiskriminierung und anderes. Das ließ sich leider aus organisatorischen Gründen nicht ermöglichen. Ellen Butt-Prömse hingegen wollte mit Schwestern aus dem neuen Kontinent zusammengeführt werden, um sich Anregungen für den Geschlechterkampf zu holen, der in Deutschland ja noch längst nicht gewonnen war.
     
    Alexander hatte keine besonderen Bitten geäußert, er hatte nur den Wunsch, bequem zu reisen, und deshalb wurde er am Flughafen von einem kräftigen Mann abgefangen und sogleich in die Schule gefahren, an Reihen niedriger Häuser vorüber, vor denen Schwarze saßen und klönten. Es war der Hausmeister der Deutschen Schule, der ihn abholte, ein Mann aus Cottbus. Er habe in einem Kollektiv der DDR Dachrinnen repariert, sagte er. Und dann im Knast gelandet, freigekauft und nun in Washington Hausmeister! Wer hätte das gedacht! Vieles sei«drüben»entschieden besser, meinte er, manches, hier in Amerika, möchte er allerdings dagegen nicht eintauschen.
     
    Daß seine Frau sich geweigert habe, im Zuge der Familienzusammenführung in die BRD nachzukommen, sagte er auch. Schicksale sind das, dachte Alexander. Aber ich habe ja auch mein Schicksal, und nicht zu knapp! Was Marianne anginge, hatte er es gut getroffen. Die würde ihm keinen Zettel auf den Küchentisch legen. Da war er sicher, und folgen würde sie ihm, wer weiß wohin.
     
    Der Hausmeister führte ihn durch die Schule, durch verwahrloste Gänge, Waschräume, in denen mit Türen geknallt wurde, und er zeigte ihm auch einen Glasschrank voll Fundsachen: Turnschuhe, Taschen, Armbanduhren: Alles gefunden, und niemand holt das ab!
    In Cottbus habe ein anderer Wind geweht! Sonntag nachmittags antreten zum Steinesammeln für die neue Straße!
     
    Die Kleinen warteten schon in der Pausenhalle auf Sowtschick, sie lärmten und überkugelten einander: kein Unterricht für sie heute! Als Alexander erschien, mit seinen beiden Taschen, einer komischen Mütze auf dem Kopf, verstummten sie augenblicklich, um allerdings gleich darauf nur um so lauter zu lärmen.
     
    Die Direktorin war leider verhindert, sie hatte keine Zeit, Alexander zu begrüßen, ein Deutschlehrer mit Haaren auf den Fingern übernahm das Zeremoniell. Er schüttelte Sowtschick die Hand:«Ah, unser berühmter Autor …»Hohn schwang mit in dieser Begrüßung, aber immerhin besser, als wenn er es ausgesprochen hätte, was er von Alexander dachte. Gelesen hatte er nichts von ihm. Nur gehört! Und zwar, daß er ein verkalkter Konservativer sei, und das genügte ihm vollauf.
    Alexander sah sich den ausgetrockneten Mann genauer an, halb unrasiert, und einzelne Nackenhaare seitab auf dem Jackenkragen …

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