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Letzte Gruesse

Titel: Letzte Gruesse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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gefehlt.
    Bin ich nun involviert?
    Aber da erschien ein großer, sehr alter Hund, stieß mit der Schnauze die Zimmertür auf und brachte Alexander freundlich einen Gummistiefel.
     
    Dann saß Alexander auch schon an der Küchenbar, und die Archivarin schüttete ihm Spiegeleier auf den Teller, als ob sie sagen wollte: Nun wollen wir uns mal was gönnen. Dann erzählte sie von ihrem Vorgesetzten, daß der sich immer mit einem vom Taschentuch umwickelten Finger in der Nase bohrt, und von Adolf Schätzing, wie nett der gewesen sei. Ein gebildeter Mensch, er habe nach Indianermythen gefragt, nicht nach Goethe! - Bloomer sei nicht so ganz das Wahre, ein weicher Mensch, dessen Frau ein Verhältnis mit dem Dekan gehabt habe, weswegen jetzt auch seine Stellung wackle. Den habe man quasi zur Autorenbetreuung abgestellt. Ein zweifelhaftes Vergnügen!
    «Wo hat er Sie untergebracht? - Typisch!»Schätzing habe im Gästehaus residiert.
    Der hätte übrigens auf ihn hingewiesen:«Auf Alexander Sowtschick können Sie sich freuen», habe er gesagt.
     
    Die Archivarin, die Elizabeth hieß, war inzwischen hinter die Tür getreten und hatte Alkohol zu sich genommen.
    Auch Alexander wurde ermuntert, sich zu stärken. Es wurde später und später, und schließlich stürzten sie miteinander auf das von Hundehaaren verfilzte Sofa und griffen sich gegenseitig in die Kleidung. Das war Alexander nicht unangenehm, aber der Hund vor der Tür, der äußerst leise, aber doch hörbar, Laute von sich gab, verhinderte durch seine Anwesenheit eine letzte Hingabe.
    Es kam also zu nichts, und«Illissebess»beruhigte sich rasch. Das sei nicht schlimm, sagte sie und stützte sich auf. Mit zwei Fingern griff sie ihm in den Mund, ob seine Zähne echt sind oder ob er eine Prothese trägt. Bald siebzig? Sie hat hinten links eine Brücke, sagte sie, und leider zu hohe Hüften.
    Alexander hatte seine Hände unter ihre Bluse geschoben und ertastete an ihrem Rücken ein einzelnes, sehr langes Haar. Ob sie das nicht mal abschneiden will?, fragte er sie. Nein, lieber nicht, sonst wächst das immer wieder nach.
    Dann kamen sie auf seine Krawatte zu sprechen. Sie sagte, ihr käme der Schlips verdammt bekannt vor, ob Schätzing nicht denselben getragen habe?
     
    Mit der Taxe fuhr Alexander zurück zur Universität. Aber das Dormitorium, in dem das Feldbett auf ihn wartete, der stille, kahle Raum mit den Aktenregalen und der sauber gefalteten Decke war«zu». Alles war«zu».
    Alexander taperte an den mittelalterlichen Gebäuden vorüber, den Kreuzgängen und Lauben, nirgends Licht, die Brunnen abgestellt, keine Hoffnung. Sollte er sich unter die Bäume legen und dort schlafen und den Polizeisirenen lauschen von jenseits der Mauer? Auf einen Rasenplatz, zwischen dessen Gräsern sich gewiß Substanzen vom«Gassigehn»der Studentenhunde gefunden hätten?
    Das ist wieder mal ein Stück, dachte er, das muß ich Marianne erzählen, brühwarm.
     
    Endlich stieß er auf einen Wachmann, der ihn anleuchtete, wo er herkommt und was er hier zu suchen hat.
    «My name is Alexander Sowtschick», sagte er, und er komme aus Germany. Er sei invited from the University und so weiter. Ach so.
    Der Mann roch gewiß die Fahne aus Alexanders Mund, vielleicht brummelte er deshalb gutmütig was vor sich hin. Mag sein, wie es will, einem Mann mit Krawatte und goldener Brille konnte man getrost die Tür aufschließen.
    «From Germany?»sagte er und hätte ihm wohl gern die Muskeln gefühlt, denn er kannte das Wort«Blitzkrieg».
     
    Das iss’n Ding!, rief Alexander und ließ sich auf die Pritsche seiner Zelle fallen und lachte laut. Spiegeleier und ein erotisches Erlebnis der dritten Art.
    Er riß sich die Krawatte vom Hals und warf sie in den Papierkorb.
    «Das fehlte noch!»rief er.
    Er holte sein Notizbuch heraus, um das Erlebnis dieses Tages in verschlüsselter Form einzutragen. Wer konnte denn wissen, wer sonst noch mit einer solchen Krawatte in der Gegend herumreiste. Jennifer war also wohl ein ausgemachtes Luder …
     
    Auf der Suche nach einem WC verließ Alexander trotz aller Warnungen das Zimmer. Er mußte das tun, es blieb ihm gar nichts anderes übrig. Die mittelalterlichen Flure waren von draußen nur eben ein wenig erhellt. Rechter Hand sah er über die Stadt hinweg, in der Emigranten ihrem Besitztum in Wuppertal nachtrauerten und andere sich Rezepte für Wurst ausdachten, in der sich aber auch bewaffnete Banden darauf spezialisiert hatten, Dozenten die Aktentasche zu

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