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Letzte Gruesse

Titel: Letzte Gruesse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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weiten Weg habe er machen müssen, um so etwas zu Gesicht zu bekommen! Die literarische Kultur bestehe eben nicht nur aus Lyrik, Prosa und Dramatik, sondern auch aus den verschriftlichten Zeugnissen des täglichen Lebens. So gesehen sei die Wäscheliste Goethes ein tief zu erlebendes Symbol für gelebte Demokratie. Hemden, Hosen und handkerchiefs - das ginge doch alle und jeden an.
    An das Waschen schmutziger Wäsche habe er freilich auch denken müssen, mit dem so mancher moderne Autor sich beschäftige, anstatt auf duftigem Linnen zauberhafte Muster zu entwerfen, vergleichbar den kostbaren Inkunabeln, die er ebenfalls in dem Archiv habe sehen können.
     
    Dann las er einen Aufsatz vor, in dem er sehr kritisch mit seinem Heimatland umging. Von der Grobschlächtigkeit der Deutschen sprach er, daß seine Landsleute leider ziemlich vierschrötig sind, von Goethe und Schiller einmal abgesehen, Beethoven nicht zu vergessen … Stendhal wurde zum Zeugen aufgerufen, daß der sich zu Recht über die Federbetten in Deutschland aufgeregt hat und über das fette Essen …
    Der Beifall war enorm. Täuschte er sich, oder winkte ihn die Archivdame per Handzeichen herbei? Er soll nach dem Vortrag mal eben zu ihr hinkommen? Wollte sie sein Notizbuch vielleicht doch kaufen?
    Zu spät, liebe Dame, zu spät.
     
    Im Anschluß an seinen Vortrag wurde Alexander gefragt, ob er in der Hitlerjugend gewesen sei, und eine Dame wollte wissen, wieso sie als Emigrantin ihr Grundstück in Wuppertal nicht zurückerhält. Ob er das gut findet? Die SED habe ihr immerhin eine Einladung zu einem Friedenskongreß in die Hauptstadt der DDR geschickt. Von Bonn eine Enttäuschung nach der anderen!
     
    Der Saal leerte sich rasch. Das mochte mit der gefährlichen Umgebung der Universität zu tun haben, man mußte Konvois bilden, um ungeschoren davonzukommen.
    Ein Bankett war nicht vorgesehen, weder fett noch mager. Keine Hamburger und keine«Bouillabaisse»und schon gar keine Hammelkoteletts. Und die Mensa hatte bereits geschlossen!
    Die Menschheit verlief sich, auch Herr Bloomer verschwand - mit Schätzing hatte er den ganzen Abend verbracht, das konnte man ja nun nicht gut mit jedem Autor machen.
    Ehe Alexander es sich versah, stand er mit Leuten zusammen, die sich über ihn hinweg auf französisch unterhielten. - Bankett?, sagten sie, nein, davon wüßten sie nichts … Auch das Wort«Kartoffelsalat»verhallte ungehört.
    Nirgends war Hilfe in Sicht, auch die Frau aus Sassenholz, deren Mann mit deutscher Wurst handelte, war enteilt. Wie gern hätte er sich jetzt mit ihr befaßt! Sie sanft umfangen, mit beiden Armen, und sie daran erinnert, wie schön das Eischetal sei. Ein Regenbogen des Friedens hätte über den Erdteilen gestanden, groß und feierlich.
    Nun wurde Alexander aber doch nachdenklich. Seit dem Frühstück hatte er nichts mehr zu sich genommen. Eine Packung SAS-Kekse hatte er noch irgendwo stecken, beiläufig eingepackt, das war aber auch alles. So was sollte ihm nicht wieder passieren, das nahm er sich vor. Gleich morgen für ausreichenden Proviant sorgen! Aber für jetzt war guter Rat teuer. Das feurige Horn lag gewiß schon wieder auf der Lauer, um Gottes willen!
    Da erschien die Archivarin und sagte: Er soll mal eben mitkommen, sie hat was für ihn, das würde ihm große Freude machen!
    Von einem Bankett wußte auch sie nichts, hier kämen täglich ausländische Gäste, deshalb sei man von Festessen abgekommen, es sei denn auf privater Basis … Um zehn Uhr p. m. sei sowieso alles zu, und in die Stadt gehen, das solle man lieber nicht tun. Im Eingangsbereich hing ein Cola-Automat, da wollte sie für ihn eine Rolle Schokolade ziehen, aber der funktionierte nicht. Dann hatte sie eine Idee, sie wohne gleich um die Ecke, am besten, sie selbst mache ihm dort eine Kleinigkeit. Und das, was sie für ihn herausgesucht habe, über das er sich gewiß sehr freuen werde, könne sie ihm dort dann zeigen.
     
    In der Not frißt der Teufel Fliegen … In einem ausgeräumten Volkswagen fuhren sie davon, und tatsächlich, es war nicht weit, in anderthalb Stunden langten sie an. Am Fuß eines kleinen mit Birken bewachsenen Hügels stoppten sie, und dann mußte zu Fuß nach oben gestiegen werden, zur Einsiedelei der guten Frau. Dort oben leuchtete eine kleine Laterne.
    Hinter der Wohnungstür hingen dann allerdings lederne Halsbänder und allerlei Peitschen und Würgeketten, das sah Alexander sofort. Um Gottes willen!, dachte er. Das hat mir grade noch

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