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Letzte Gruesse

Titel: Letzte Gruesse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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hinein. Durchhalten mußte er, da half nun alles nichts, und er hielt durch, trotz aufsteigender Herzensübelkeit. Kalte Hände hatte er, und das Gewese auf der Bühne da vorn nahm er eher wie durch einen Schleier wahr. Er bat schließlich um ein Glas Wasser: Wenn er hier jetzt schlappgemacht hätte - das wäre nicht gegangen. Bloß alles loben, war die Devise, kein Wort der Kritik!
     
    Die Schüler rochen es, daß er nicht einverstanden war mit ihrer Darbietung. Die an sich ganz annehmbaren Mädchen gingen zickig hinaus. - Die einigermaßen verkommenen Jünglinge trugen Colabüchsen wie Schnapsflaschen in der Jackentasche … Mit dem Handrücken wischten sie sich den Mund ab. Oh, diese Verruchtheit!
    Haben die eine Ahnung, dachte Sowtschick und blätterte sich seine eigenen Verruchtheiten auf. Von so was konnten die bloß träumen.
    Ja, es ist wahr, er hätte rufen sollen:«Mist! Scheiße!»Durch Schock ihr Bewußtsein verändern. Höhnisch hätte er sie abfertigen müssen, wenn er das gekonnt hätte. So aber ging ihm die deutsche Jugend für immer achselzuckend verloren.
    Alexander schnappte sich einen, der ganz treuherzig aussah, und fragte ihn, ob er weiß, wo es hier in Washington Hosenträger in den US-Farben zu kaufen gibt. - Nein, das wußte der nicht.
     
    Die Nachmittagslesung war noch zu erledigen. Die Lesung bei den Großen!
    Während er aus seinem Buch«Kaum einen Finger breit», mit dem er bisher noch immer gut gefahren war, Abschnitte las, die seiner Meinung nach bei den jungen Leuten vielleicht grade eben noch durchgingen, war es ihm, als ob er gegen Wellen ankämpfte, jedes Wort mit gesträubten Haaren, kein Satz, ohne sich im Labyrinthischen zu verfransen. Älter wurde er und immer älter … Was hatte ihn geritten, ausgerechnet aus diesem Roman zu lesen, so was war für die deutsche Jugend doch das Letzte!«Er nahm sie in seine Arme»… solche Sachen. Alles, was er zu bieten hatte, war kalter Kaffee für die deutsche Jugend, die hier versammelt war, in einer Pausenhalle, in der es zog und gongte.
     
    Als er es endlich hinter sich gebracht hatte, fragte ihn der Deutschlehrer, ob er meint, mit diesen alten Kamellen einen Hund hinterm Ofen hervorlocken zu können. Und er guckte dabei seine Schüler an, ob es sie nicht freut, daß er so provozierende Fragen stellt.
    Die Schüler fragten nach der Aussage, wo denn die Aussage sei. Und dann wurde frech nach dem Preis seiner Jacke gefragt:«Wieviel hat Ihr Sakko gekostet? Können Sie sich so was leisten als Storyteller?»Und: Warum er nicht mal was über Arbeiter schreibt, das wollten sie wissen.
     
    Als Alexander verbittert und verwirrt dem Ausgang zustrebte, (am besten sofort nach Hause fliegen),«wo ist hier der Ausgang? »stoppte ihn ein rundwüchsiges Mädchen und drückte ihm was in die Hand, mit Knicks! Eine in Zeitungspapier gewickelte Puppe war das. Am liebsten hätte er das Ding sofort weggeschmissen, aber er steckte es dann doch in seine Tasche.
    Der Hausmeister geleitete ihn durch die Flure. In einem Klassenzimmer spielte jemand Flöte. Alexander blieb stehen. Es war hier also doch noch etwas anderes am Leben. Er konnte nicht weitergehen, er mußte zuhören. Und er tat das, bis sich der Hausmeister ungeduldig auf die Fensterbank setzte.
    Dann brachte ihn der Mann ins Hotel. Während der Fahrt wies er auf die Sehenswürdigkeiten der Hauptstadt hin, links und rechts, als ob die alle ihm gehörten, und Alexander hielt sich an dem Griff fest. Das Capitol mit der Säulenreihe unterm Hut, der Obelisk, unter dem gegen den Vietnamkrieg protestiert worden war.
    «Das kennen Sie ja alles», sagte der Hausmeister.«Und dort das Weiße Haus. Schauen Sie mal, ob die Fahne weht, ja? Dann isser grade da.»
    Im Krieg war Alexander mal in Berlin gewesen, auf der Durchreise von einer Front zur andern. Auf der Reichskanzlei hatte damals auch die Fahne geweht, Hitler war also auch grade dagewesen.
     
    Reagan, bestgehaßt, aber:«Open the Wall, Mr. Gorbatschow», das hatte er gerufen, und das war anzuerkennen.«Der Cowboy», wie sie ihn nannten. Schauspieler von Beruf. Was war das denn für ein Kriterium? Es gab Präsidenten, die Sattler gewesen waren oder Dachdecker oder Pianist. Das waren doch alles ordentliche Berufe.
     
    Auch auf die Obdachlosen wies der Hausmeister hin, die sich unter den Brücken niedergelassen hatten, unter Pappkartons und Plastikplanen. So was gebe es in der DDR nicht.
     
    Die Autoren wurden hergezählt, die in der Schule schon

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