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Letzte Gruesse

Titel: Letzte Gruesse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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gelesen hatten. Wie gewandt die mit der Jugend umgehen konnten. Die hätten den richtigen Nerv. Schätzing zum Beispiel habe bei den Kleinen mit Zauberkunststückchen Ovationen geerntet.«Der zog denen Pingpongbälle aus der Nase! So was habe ich noch nicht erlebt!»
    Die Kleinen seien ganz aus dem Häuschen gewesen. Mit den älteren dann später noch rumgezogen.
     
    Alexander gab dem Mann, als er am Hotel ausstieg, freundlich die Hand. Und der fuhr auch sofort davon, der hatte seine Zeit nicht gestohlen.
    In der Halle stand der Jüngling, der ihn wegen der Jacke angepöbelt hatte. Er habe mal’ne Frage … und daß das eine längere Sache werden würde, war gleich zu sehen. Alexander nahm ihn mit aufs Zimmer, und während er seine Sachen auspackte, redeten sie miteinander. Es war die Lebensangst, die den Jungen trieb. Daß er hier bei Sowtschick saß, in dessen Zimmer, und daß der ihm zuhörte, das war schon genug.
    Alexander lud ihn schließlich nach Sassenholz ein. In seinem Haus stelle sich hin und wieder Jugend ein, das sei nichts Besonderes...
    Irgendeine Vorstellung hatte er von gemeinsamem Abschreiten der Allee, die Jugend und das Alter … und dann würden sie sich gegenseitig daran erinnern, daß er hier in Washington so frech gewesen sei. Und dann würden sie beide darüber lachen. Und er dachte an den einen schönen, heißen Sommer, in dem ihm Jugend Gesellschaft geleistet hatte.
     
    Alexander wußte, daß der junge Mann nie nach Sassenholz kommen würde, und der wußte das auch. Der würde Deutsch und Geschichte studieren und in ein paar Jahren Aufsätze korrigieren. Das war der Lauf der Welt.
    Während sich Alexander rasierte, nahm der junge Mann sich das Buch von 70/71 vor und blätterte es durch: ein Gemetzel nach dem anderen. Dazwischen die Fotos von Kriegern: alle ungefähr so alt wie er.
    Attacke reiten und mit dem Säbel unter sich hauen? So hatte Alexander den Krieg nicht erlebt. Bei minus zwanzig Grad am Feuer stehen, das war der ganze Witz gewesen. Und die Bahnlinie flog auf dreihundert Meter Länge in die Luft.
    Alexander bestellte heißen Kakao und Hot dogs, und der Kellner brachte einen Brief: Seine Abendlesung vor großem Publikum sei wegen des«Deutsche-Wochen»-Empfangs der Botschaft abgesagt worden. Die Gäste der«Deutschen Wochen»gingen alle zu diesem Empfang, hieß es, und er könne folglich auch kommen, wenn er wolle.
    Alexander trank seinen Kakao und aß die Hot dogs und überlegte, ob er beleidigt sein soll oder nicht. Nein, er war nicht beleidigt. Das Honorar würde trotzdem gezahlt werden: Das gab den Ausschlag. Alexander kämmte sich die Haare und steckte ein Buch ein, für alle Fälle, es könnte ja sein, daß man ihn aufforderte, was zu lesen?«Die Winterreise», warum nicht?
     
    Der Empfang in der Deutschen Botschaft: In dem Saal standen zweihundert Leute und erzählten sich was, alle gleichzeitig, und das war ein ziemlicher Lärm. Zwei holländische Husarenoffiziere fielen auf, in Galauniform mit strahlendem Ordensstern, und ein amerikanischer General, ohne Stern, aber mit einem winzigen Eisenbahnzug kleiner farbiger Waggons auf der Brust. Das Gerede all dieser Menschen wurde lauter und lauter. Den Lärm mit einem Kescher auffangen und auswringen, was da für eine Sauce rauskommt?, dachte Alexander. Und immer noch fuhren Wagen vor.
    Viel Orden und Ehrenzeichen und Frauen mit der Maske der Gelifteten. Männer mit Bypass und Frauen geliftet.
    Es waren auch ein paar Schwarze da, die wollten sich die«Deutschen Wochen»nicht entgehen lassen. Möglicherweise ebenfalls mit Bypass, aber nicht geliftet.
     
    Man stand. Ein dänisches Streichquartett nahm auf der mit Blumen geschmückten Bühne Platz und begann eine Komposition des Tschechen Dvořák zu spielen, einen geschwinden Satz, denn: Bloß nichts anbrennen lassen!, hatte man ihnen eingeschärft, sonst langweilen sich die Gäste.
    Dann hielt der deutsche Botschafter eine Rede über deutsche Kultur. Schiller, Goethe:«Amerika, du hast es besser …», auf englisch natürlich. Aber auch Brecht, warum nicht? Er fand es großartig, daß es gelungen sei, ein ganzes Opernensemble hierherzuschaffen, das ganze Orchester aus Köln einzufliegen und«Der Barbier von Sevilla»des Italieners Rossini aufzuführen.
    Auf den Festtanz einer Tiroler Tanzgruppe hatte man verzichtet. Das hätte den italienischen Botschafter verschnupfen können.
     
    Seine Exzellenz erwähnte die Reihe der Autoren, die man extra von Deutschland

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