Letzte Gruesse
weiter. Der Pfarrer habe gefragt, ob sie sich nicht in den Helferkreis einreiht, also Suppe ausgibt und Brote streicht. Ob er mit ihr rechnen kann?
Sowtschick riet ihr ab davon, er war dagegen, von so was hat man nur Nackenschläge. Aber - andererseits - vielleicht ganz gut, dachte er, da hatte sie etwas, für das sie sich engagieren kann … Und deshalb war er dann letztlich doch dafür.
Bevor Alexander ins Bett ging, nahm er Jennifers Schlips und schnitt ihn mit der Fingernagelschere sorgfältig in kleine Stücke. Aus! Vorbei!, sagte er laut. Aber es hatte ja überhaupt noch nicht angefangen.
Wie hatte sie man noch ausgesehen?
Auf dem Koffer lag das in Zeitungspapier gewickelte Geschenk des rundwüchsigen Schulmädchens. Das packte er jetzt aus. Es handelte sich um eine Strickpuppe, einen«Dichter»darstellend, selbstgemacht aus überquellender Liebe, pflaumenmannartig, eine Leiter unter dem Arm, um in den Himmel zu steigen und von dort Geigen oder sonst was herunterzuholen? Einen Rucksack auf dem Buckel, voll Schreibpapier, und ein Bleistift hinterm Ohr. Brille aus Draht überm gestrickten Gesicht.
Sollte er das Ding mit ins Bett nehmen? Dieser Kreatur würde mit der Nagelschere nicht beizukommen sein.
Was Schätzing wohl zu so was gesagt hätte? Zum ersten Mal hatte er den Wunsch, mit dem Kollegen zusammenzusitzen und zu reden, so wie er es mit dem jungen Mann getan hatte. War der der Ältere?
Eben noch ein bißchen Heckle und Sheckle anstellen - dann sagte er:«Ich kann es auch nicht ändern», sah auf die Uhr, zog sich die Augenklappe übers Gesicht und löschte das Licht.
«Der Ruppsack in Amerika»… warum nicht einen dritten Teil schreiben?«Dem Ruppsack geht’s gut»? - An Ideen hatte es ihm noch nie gemangelt.«Ruppsack in Amerika». Warum nicht? Hessenberg würde dann allerdings fragen:«Meinen Sie, daß das gut ist?»
20
In Houston wurde er von einer gepflegten, sehr deutsch aussehenden Dame abgeholt, die von Rutenigk hieß, graues Kostüm und Perle an den Ohrläppchen. Sie lebte schon seit Jahren getrennt von ihrem Mann, der in Bonn höherer Beamter war. Was die drei Töchter machten, wurde referiert: Jura, Medizin und Volksschullehrerin, und daß jeder Mensch seine Freiheit braucht.
Auf dem Parkplatz wurden sie von einem fröhlichen Schwarzen gestoppt. Er hatte eine Sammelbüchse in der Hand und teilte Alexander mit, daß Jesus lebt und auch ihn erlöst.«Hoffentlich nicht allzu bald!»sagte Sowtschick und gab ihm einen Dime. Er hatte seinen speziellen Draht zum Jenseits, das hatte mit Erlösung nichts zu tun.«Endlich»oder«schon», das war die Frage, um die sich alles drehte.
Sie habe sich gleich gedacht, daß er der Sowtschick ist, er sehe ja aus wie ein Bilderbuchdeutscher! Diese Mütze! Zum Totlachen!«Wenn man schon so lange in den Staaten ist wie ich, dann hat man einen Blick für so was.»
Alexander wurde gleich ein bißchen bäurischer unter solcher Anrede, und er ließ sich ächzend in den Sitz gleiten: daß er auch nicht mehr der Jüngste ist.
Ob sie noch eine spirituelle Beziehung zu ihrem Mann habe?, fragte Alexander sie. Daß sie zum Beispiel ganz plötzlich das Gefühl hat, er denke an sie? Oder daß sie in ein und demselben Augenblick zum Telefonhörer griffen, er dort, sie hier?
Zu Marianne hatte er keine solche Beziehung, nie geschah es, daß sie gleichzeitig zum Telefonhörer griffen - und doch waren sie schon vierzig Jahre beisammen.
Sie fuhren durch verwahrloste Vorstädte, vor jeder Hütte lungerten Schwarze herum.«Das ist ja hier wie in Indien!»sagte er zu der Frau von Rutenigk.
Ach Gottchen, antwortete sie, das könne man doch gar nicht vergleichen! Was die Regierung alles tut für diese Leute, davon mache er sich keine Vorstellung! Und: Ob es in Deutschland nicht ebenfalls soziale Probleme gibt? Sie habe gehört, daß die Deutschen ihre Ausländer sehr schlecht behandelten.
Und um ihm zu zeigen, wie gut es den Menschen geht, wenn sie nur fleißig sind und man ihnen ihre Freiheit läßt, fuhr sie ihn durch die Viertel der Reichen. Weiße Schlösser mit Portikus unter großen alten Bäumen. Rasenmäher pendelten auf und ab, die Zufahrt durch Schlagbaum gesperrt. Springbrunnen.
«Auch wie in Indien», dachte Sowtschick.
Mit dieser Frau in einem solchen Säulenhaus zu wohnen, das hätte Alexander sich übrigens gut vorstellen können, auf der Terrasse sitzen und Tee trinken? Und dann kommt ein weißer Wagen vorgefahren, und die
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