Letzte Gruesse
drei Töchter steigen aus?
Seine Bücher habe sie natürlich nicht gelesen, sagte sie, ach du lieber Gott! Was hier so an Autoren durchgeschleust werde, da hätte sie ja viel zu tun! Sie lese überhaupt sehr wenig, sie sammle Graphik. Erst kürzlich habe sie einen Pechstein erworben …
Dann wurde von Adolf Schätzing gesprochen. Ein komischer Heiliger, aber nett! Zur Lesung habe man in einen größeren Saal umziehen müssen! Und die Leute seien begeistert gewesen, obwohl seine Sachen schwierig und eigentlich gar nicht zu verstehen wären. Sie habe, ehrlich gesagt, so gut wie nichts kapiert. Magisch sei es gewesen, wie er da auf dem Podium gesessen habe, das feurige Auge, wie von einer fiebrigen Krankheit brennend … man sei wie gebannt gewesen, habe sich nicht abwenden können. Die Hände! Die Gebärden!
Immer, immer werde sie an Schätzing denken müssen!
Er habe Friedhöfe sehen wollen, Mausoleen mit aufgebahrten Toten.«Ein bißchen tickhaft, gell?»
«Sind Sie auch vom Tod fasziniert?»
Nein. Vom Leben schon eher.
Einen Augenblick stellte Alexander sich Schätzing wie einen Fakir vor, auf einem Nagelbrett liegend, dürr, asketisch, mit überlangem Geschlechtsteil versehen, der Leib mit weißer Asche eingestrichen...
Zu seiner Lesung werde sie nicht kommen können, sagte die Dame, leider, es sei im Augenblick so viel los - die«Deutschen Wochen»! -, Deutschland vorn und hinten, sie habe von den Deutschen ehrlich gesagt die Nase voll. Dächten, sie wären der Nabel der Welt.
Sie bat ihn herzlich um die Titel seiner Bücher, und Alexander versprach ihr einige. Vielleicht komme sie ja doch mal dazu hineinzuschauen.
Auf dem Campus zeigte sie ihm dann sein Zimmer. Obwohl andere Gäste mit der«Unterbringung»zufrieden gewesen waren, lehnte Alexander es entschieden ab, hier einzuziehen: zu klein und mit Aussicht auf einen Garagenplatz. Er war nicht Tausende von Meilen gereist, um in ein solches Kabuff gesperrt zu werden und ständig auf Autos zu gucken, die ankommen und wieder abfahren.
Alles bäumte sich in ihm auf gegen dieses Zimmer.
«Den andern Gästen hat es aber gefallen», wurde gesagt, die seien sehr begeistert gewesen, die hätten sich immer wieder bedankt und dann auch noch lange geschrieben … Letztens seien drei Japaner hier gewesen, süße Jungs.
Oft seien es gerade Menschen, die aus kleinen Verhältnissen kommen, die in der Fremde überzogene Ansprüche stellten. Zu Hause wohnten sie in einem Verschlag, und hier wollten sie eine Suite...
Allerdings habe auch Schätzing ein anderes Zimmer haben wollen, aber das war ja ganz was anderes. Hatte der nicht irgendwelche Phobien? Glaube immer noch, man verfolge ihn und wolle ihn verhaften? Ein Zimmer im ersten Stock sei für ihn inakzeptabel gewesen.
Schätzings Zimmer im achten Stock wurde aufgeschlossen, und das war dann schon fürstlicher - Doppelbett, bequeme Sessel und ein Schreibtisch unter dem Fenster. In der Ecke stand sogar ein Kühlschrank mit einer Kochplatte oben drauf. Über dem Bett hing ein Bild, auf dem Südstaatler Nordstaatlern die Hand reichten. Up ewig ungedeelt … Im Vordergrund zerbrochene Waffen und in der Ferne ein brennendes Haus.
Leider war die Toilette nicht gespült, und im Duschbassin fanden sich Seifenreste, mit Haaren verkleistert.
Alexander setzte sich auf das Fensterbrett und teilte der Dame mit, daß er nunmehr zufrieden sei. Die Aussicht war grandios. Und er nahm sich vor, später einmal, von Deutschland aus, ein herzliches Dankeschön loszulassen.
Frau von Rutenigk verließ ihn, und er setzte sich an den Tisch. Es war ihm etwas Besonderes, an diesem Tisch zu sitzen. Hier also hatte Adolf Schätzing vor wenigen Tagen an einer neuen«Definition»gearbeitet? Dreißig Jahre jünger und von Krieg und Not keine Ahnung, und mit einem zusammenziehenden Blick begabt, eine Sicht, die Sowtschick abging. Alexander wollte auch gar nichts zusammenziehen, er wollte vor dem Leser ein Panorama aufrichten. Wer mochte, konnte ja hineingehen in seine so ganz andere Welt, eintreten in Räume, von deren Existenz sie zuvor keine Ahnung gehabt hatten.
Der Papierkorb war leider ausgeleert worden. Das Bad nicht geputzt, aber der Papierkorb entleert. Schade. Auch der Schreibtisch war leer. Kein Krümel in den Schubladen, nichts. Keine Einkaufsliste mit abgehakten Positionen, von Gedichtanfängen ganz zu schweigen.
Wenn ich vor ihm hergefahren und er mir gefolgt wäre, dann hätte ich ihm
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