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Letzte Gruesse

Titel: Letzte Gruesse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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über die Zeiten hinweg miteinander, wobei sie wohl auch mal den Kopf schüttelten. Neben der Bühne liefen auf übergroßen Leinwänden Filme, in denen die Taten der Präsidenten verherrlicht wurden, die dann jeweils auf der Bühne ein heller Lichtstrahl traf. Ihre Untaten wurden freilich übergangen. Von Indianermassakern keine Spur. Breiter Raum wurde den Sezessionskriegen eingeräumt und der Versöhnung der beiden Teile des Landes.
    Den Abschluß machte die Nationalhymne. Eine Schülerhorde vorn in den ersten Reihen erhob sich und sang mit, wie sehr sie auch vorher gelärmt hatte.
     
    Eine solche Darbietung würde man in Deutschland nicht hinkriegen, dachte Alexander. Wilhelm II., Hindenburg, Hitler … Das würde nicht gehen. Das würde ja auch niemand sehen wollen. Außerdem kriege man ja gar nicht so viele zusammen.
    Die ganze Zeit über - die Vorführung zog sich hin - hatte Alexander Angst gehabt, ob der Junge vielleicht wegläuft oder irgend etwas anstellt oder gar entführt wird. Und seine Sorge war berechtigt, denn das Kind stand nicht am vereinbarten Platz. Alexander mußte sich also auf die Suche begeben, lief um die verschiedensten Attraktionen herum, bis er ihn schließlich an einem Pfannkuchenstand traf. Alexander machte ihm ziemlich laut Vorhaltungen und zerrte ihn auch ein wenig ungehalten mit sich. Und das mochte so aussehen, als täte er das gegen den Willen des Kindes! Die Leute wurden aufmerksam, und es kam sogar ein Polizist: Was er den Jungen am Arm zu ziehen hat? Und zu dem Jungen: Was will der Mann von dir?
    Alexander mußte den Ausweis zeigen, und Menschen umstanden ihn, die sich so manches gedacht zu haben schienen. Hatte nicht vor wenigen Wochen eine Entführungsserie die Stadt erschüttert? Und: Germany? SS? Das war ja interessant … Aber der Junge klärte die Sache auf. Na gut, sagte der Polizist und sah Alexander argwöhnisch an. Es konnte ja sein, daß das Kind dem alten Mann hörig war. Er hatte schon viel gesehen in seinem Leben.
     
    Man ließ Alexander ziehen, nicht ohne ein wenig mit dem Finger zu drohen, und Alexander ließ sich das nicht zweimal sagen. Sie kamen noch grade eben zurecht zur Mickymausparade, von einer Seppelhosengarde mit Trommeln und Pfeifen angeführt. Waren das die Leute, die man in der Deutschen Botschaft nicht auf die Bühne gelassen hatte?
    Alexander machte den Fotoapparat klar … Aber als er eben den Apparat vors Auge nahm, um ein Bild von dem x-beinigen Jungen zu machen, erbrach der sich wie ein Wasserspeier in hohem Bogen. Hamburger, Eis und Pfannkuchen der Reihe nach. Rein ab, rein ab, bis auf den Grund!
    Zwei weiß uniformierte Sanitäterinnen mit Hasenohren und angeklebtem Hasenschnurrbart unter der Nase führten den Jungen von der Straße weg hinter das Gebäude. Dort kann er soviel kotzen, wie er will, sagten sie, und dann fragten sie auch schon, ob es wieder geht.
    Alexander erzählte ihnen, daß er selbst sich auch schon mal erbrochen habe, und zwar in New York, das sei vielleicht ein Theater gewesen …
     
    Am Ausgang wurden sie, wie alle anderen Gäste, von der Obermickymaus mit Handschlag verabschiedet. Ob es ihnen gefallen hat, wurden sie gefragt. Ja! sagten sie ins Mikrophon, und das echote über die ganze Stadt.
    Ein Schlaraffenland fehlte hier …, dachte Alexander, und er stellte sich vor, wie die Leute sich auf allen vieren durch den Kuchen fressen.
    Ein Schlaraffenland im Schlaraffenland. Darauf müßte man die Direktion mal aufmerksam machen.
     
    Rechtzeitig zum gemeinsamen Abendessen der Lehrerinnen im Saal des Hotels lieferte Alexander den blassen Jungen bei seiner Mama ab. Ob’s schön gewesen sei, wurde gefragt, und er wurde zum Mitessen aufgefordert. Der Junge dankte, er berichtete alles der Reihe nach. Auch die Sache mit der Polizei. Und die Frau guckte Alexander etwas sonderbar an, ja, hatte der Mann denn Anlaß gegeben zu einer solchen Vermutung?
    Es gab«German sausage with Sauerkraut»zu essen, und Alexander säbelte sich was ab von der wasserhaltigen Wurst. Und da wurde er auch schon von der Frau mit gedämpfter Stimme ins Vertrauen gezogen. Sie hält es nun nicht länger aus, sie will sich scheiden lassen! Was er dazu sagt? Das hätte er wohl nicht gedacht? Und während Alexander an der Wasserwurst kaute und in sich hineinhorchte, ob das wohl richtig ist, daß er hier jetzt diese Wurst ißt, ob ihn das nicht die Nachtruhe kostet, ließ die Frau eine lange, dramaturgisch aufgezäumte Rede auf ihn los. Die

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