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Letzte Gruesse

Titel: Letzte Gruesse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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Tagungsraum genutzt und für die Schulung von Vertretern.
     
    Alexander nahm’s gelassen: lieber zu groß als zu klein … Lediglich eine Reihe Aktenordner und Gesetzbücher, in abschließbaren Glasschränken, störten ihn. Das erinnerte ihn an seinen Anwalt Dr. Gildemeister in Hamburg und an die Dünnbrettbohrer-Affäre. Auch an den Roman mußte er denken, von dem erst dreiundsechzig Seiten beim Verleger lagen.«Karneval über Lethe»? Irgendwann würde er sich ihm stellen müssen.
     
    Der Übersetzerkongreß. Man mußte die Sache an sich herankommen lassen. Vielleicht hatten diese Menschen ja Angst vor ihm? Die Aussicht, von Hunderten von Menschen gefragt zu werden:«Wie haben Sie das bloß gemacht?», war im Grunde ganz angenehm.
     
    An der Rezeption händigte man ihm einen Brief vom Institut aus: Der Schriftsteller Adolf Schätzing habe zu ihm stoßen sollen. Als eine Überraschung war das gedacht, von der sich alle Beteiligten viel versprochen hätten … Schätzing selbst habe das angeregt. Daraus werde nun nichts, weil Schätzing von einem Professor namens Emerson für ein paar Tage zu einem privaten Treffen mit amerikanischen Autoren in sein Haus eingeladen worden sei:«Das Bild Deutschlands in der amerikanischen Literatur».
     
    Sowtschick war platt. Schätzing selbst hatte darum gebeten? Ja, lag dem denn was an ihm? Herrgott, wie hätte er das durchstehen sollen? Was hätte er diesem Menschen denn bieten können? Einem Mann, der keine Ahnung hatte, was ein«K 3 »war? Und er selbst hatte doch Hegel nie gelesen!
    Wollte ihn dieser Mann«fertig machen», vor allen Leuten? Sowtschick als lebender Punchingball?
    Endlose Debatten hätten ausgefochten werden müssen zur Erkämpfung von Geltung … zur Behauptung von Standpunkten, die einem an sich völlig egal waren.
     
    Dann kam der Stich … Eifersucht!
    Er war eifersüchtig auf Schätzings Privatkontakte. Er wurde zwar nicht«grün vor Eifersucht», wie Marianne es ausgedrückt hätte, aber immerhin, einen Stich gab es ihm doch, einen schmerzhaften Stich.
    Wieso wurde er nicht eingeladen zu freundlichem Gespräch? Er, der Ältere, Arrivierte? Interessierte sich denn niemand in Gottes eigenem Land für seine Meinung zu den Dingen?«Kaum einen Finger breit»und«Hetzjagd in Andante», das waren zwar keine epochemachenden Werke gewesen, aber sie hätten doch manche irrige Meinung über Deutschland zurechtrücken können.«Die Winterreise». - In deutschen Zeitungen war er bisher noch immer gelobt worden, bei jedem neuen Werk, das er vorlegte, und es hatte stets geheißen:«Gut, daß wir ihn haben.»Und nun auf einmal nicht mehr gefragt? Dieser Mann ist uns wurscht!
     
    Alexander hatte zwar keine Flucht über Draht und Mauer vorzuweisen, aber immerhin Kriegsgefangenschaft. Sie war nicht von Pappe gewesen! Allerdings:«Selber schuld», das war der Haken. Wieso er sich nicht geweigert habe, Soldat zu werden, war er von Schülerinnen schon gefragt worden.
    Vielleicht hätte er sich ja auch, wie Schätzing es getan hatte, zeitweilig als Klassenkämpfer betätigen sollen. Mit blauer Bluse seine Laufbahn beginnen und in einer staatlichen Schreibwerkstatt das Schreiberhandwerk erlernen? Dann wäre ihm eine Einladung sicher gewesen.
    Zum ersten Mal, seitdem er unterwegs war, nahm er eine Tablette, eine dieser Wunderdrogen, die ihn sanft erlöste von nagenden Gedanken. Außerdem sagte er laut:«Look forward!»und bald schon wich alles von ihm, und ein süßes Gefühl rieselte durch seine Glieder.«Straight ahead»!
     
    Unruhig in unruhiger Zeit. In seinem Reisetagebuch hatte er bisher fast nichts notiert.«Legginham: unmöglicher Fraß», las er. -«Townhill: hübsche Sekretärin.»Wo lag Legginham, was war in Townhill gewesen? Er erinnerte sich nur noch daran, daß ihm im Büro der Universität von Townhill kein Stuhl angeboten worden war.
    Nun schrieb er:«Es ist verwunderlich …», was er sofort wieder strich. Ein solcher Satz würde sich später nicht veröffentlichen lassen.
     
    Auf der letzten Seite des Tagebuchs waren die Honorareinnahmen der Reise verzeichnet, mit Bleistift, notfalls auszuradieren. Wieso hatte er in Orlando nur zweihundert Dollar bekommen? Es hatte im Vertrag gestanden, aber er hatte den Vertrag nicht richtig durchgelesen. Wie oft war ihm das schon passiert! Wird schon hinhauen - und dann hatte man den Salat!
    Er räumte den Tisch leer und zählte sein Geld. Erst Tür abschließen, dann die Banknoten glattstreichen, die Eselsohren

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