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Letzte Gruesse

Titel: Letzte Gruesse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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geben?«My name is Alexander Sowtschick? I’m a novellist from Germany?»Wenn er einen Hut aufgehabt hätte, hätte er ihn gelüftet.
     
    Kauende, überfettete Frauen kamen ihnen entgegen und zerlederte Männer. Diese Menschen hatten sich stundenlang belustigen lassen und strebten nun ermüdet ihren Autos zu. Alle bedankten sich bei der Mickymaus mit einem Blick, wie man ihn prominenten Filmschauspielern schenkt. Ob das tatsächlich wahr ist, daß sie hier der Mickymaus die Hand geben …?
    Ihnen wurde ein Mikrophon unter die Nase gehalten, wie es ihnen gefallen hat, und ihre Lobpreisung des Vergnügungsparks wurde laut in die Gegend geschrien. Autogramme verteilte die Mickymaus nicht.
     
    Schon kam ein Stand mit sechsunddreißg verschiedenen Sorten Eiscreme in Sicht, grüne, rote und gelbe und solche in den Farben der Vereinigten Staaten. Olaf erbat«a big one». Für sich kaufte Alexander eine kleine Portion, die riesengroß war.
    Er hatte vorgehabt, auf Verrücktheiten hoffend, sich in dem Vergnügungspark zwanglos ergehen zu können, alles in Ruhe angucken und allerlei notieren. Er hatte auch seinen Fotoapparat mitgenommen, vielleicht ließe sich ja irgend etwas Kurioses aufschnappen.«Unruhig in unruhiger Zeit»- damit könnte dann das betreffende Kapitel in seinem Buch illustriert werden. Hessenberg würde begeistert sein!
    Möglich war es ja auch, daß in diesem Vergnügungspark, so ähnlich wie in Amsterdam, eine Bude mit Abartigkeiten existierte? Oder gar ein Bordell? Cancan tanzende Mädchen, die man hinterher zu einem Glas Sekt einladen kann?
     
    Aus dem Schlendern wurde nichts, der Junge drängte ihn mit kleinen Hüftstößen von dem ab, was Alexander sich gern angesehen hätte. Der wußte genau, was er wollte. Mit Alexander bestieg er ein wuchtiges Astronautenkarussell. Sie zwängten sich in eine Rakete, wurden festgeschnallt und hydraulisch aufgehoben und herumgewirbelt. Auf einem Monitor war gleichzeitig zu sehen, was die Menschen unter ihnen für ein Gesicht dazu machten. Mit Karneval hatte das nichts zu tun, aber einen Fluß gab es zu sehen, einen künstlichen Wasserlauf.
    Nachdem sie sich taumelnd aus der Rakete befreit hatten, fuhren sie auch schon auf dem künstlichen Fluß dahin. Mit Stricken unter Wasser wurde das Schiff an künstlichen Felsen entlanggezogen, unter denen Piraten einander erschossen. Aus dem richtigen Wasser tauchten Nachbildungen von Nilpferden auf und von Krokodilen, denen die Augen richtig auf- und zugingen. Zum guten Ende wurde an Land noch ein Zug überfallen, und das war’s.
    Alexander hätte gern mal einen Blick in den Maschinenraum dieser künstlichen Naturlandschaft geworfen, aber das war leider nicht gestattet. Auch der Hinweis an das Aufsichtspersonal:«My name is Alexander Sowtschick and I am a writer from Western Germany …», er wolle diesen Park gern überall rühmend erwähnen, nutzte nichts, man ließ ihn nicht hinabsteigen in die Unterwelt. Man fragte ihn statt dessen, ob er, ein Deutscher, in der SS gewesen sei und Kinder gekillt habe.
     
    Eine spezielle Einrichtung machte Alexander Spaß, eine Schießbude, in der man junge Mädchen mit Bällen abschießen konnte: Wenn man traf, rutschte von oben eins der Mädchen in ein Wasserbassin, mehr oder minder kreischend.
    Eine Bude, in der man Negerköpfe mit Torten bewerfen konnte, gab es hier nicht.
    Das Haus der amerikanischen Geschichte wollte der Junge nicht betreten. Aber Sowtschick wollte das, und er kaufte sich mit einer Wurst frei, einer«big one», in die der Junge sofort hineinbiß.«Hier vor der Tür treffen wir uns dann wieder …»
     
    Auf der Bühne des barockartigen Theaters, in das man für teures Geld eingelassen wurde, um sich in die amerikanische Geschichte zu vertiefen, saßen und standen unbeweglich die naturgetreuen Nachbildungen sämtlicher US-Präsidenten nebeneinander, von Washington bis Reagan. Männer machen Geschichte. Regungslos standen sie auf der Bühne in Gruppen oder auch einzeln. - Das kann ja heiter werden, dachte Alexander. Aber dann bemerkte er, daß die Figuren keineswegs regungslos herumstanden, sie bewegten sich kaum merklich ein wenig! Sie schienen zu atmen, schlugen, ganz wie die Nilpferde und Krokodile auf dem künstlichen Fluß es getan hatten, die Wimpern auf und zu, drehten die Augen und hoben ein wenig den Arm, und es sah so aus, als wollten sie einander auf Zukünftiges verweisen und an Vergangenes erinnern. Über Kartentische hinweg und am Kamin plauderten sie

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