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Letzte Gruesse

Titel: Letzte Gruesse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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doch? Hatte man als sogenannter Kulturträger nicht die Pflicht, sich damit zu befassen? Jahrhunderte hindurch am Bodensee gehütet, in allen Kriegen und Kriegeskriegen bewahrt, an Ketten gelegt, in Verliesen verwahrt, auf Dachböden - dann endlich, endlich von Forschern ans Licht gezerrt, in alle Sprachen übersetzt und vieltausendfach gedruckt. Das schweigende Jahrhundert: als ob der Fernsehapparat abgestellt ist. Ein schwarzes Loch.
     
    Was habe ich in der Neuen Welt verloren, fragte sich Alexander, warum sollte ich mich wie auf einem Sklavenmarkt einer Menschheit anpreisen, die sich für nichts interessiert, die von nichts eine Ahnung hat? Menschen, die Bomben auf Barockkirchen abladen und sich nicht einmal mehr daran erinnern. Warum sich also hier absolut hurenhaft anbieten, in geschwätzige Versammlungen hinein, wenn es ein ganzes Jahrhundert gab, aus dem kein einziges Wort verlautete?
     
    Sein Auftritt in Orlando war eine Verlegenheitssache. Es klaffte ein Loch von mehreren Tagen in seiner Tournee. In Orlando tagten Deutschlehrerinnen, was lag näher, als daß denen ein deutscher Schriftsteller Einblicke in seine Arbeit gewähren und sie mit einer Lesung unterhalten könnte. Wenn einem nun so gar nichts anderes einfiel, warum nicht Alexander Sowtschick nach Orlando schicken, wo er nun schon mal in der Gegend ist? Das hatten die Institutsleute in New York gedacht. Und da von der Schulbehörde ein Honorar gezahlt werden würde, war nichts dagegen einzuwenden.
     
    Auf Schätzing hatte sich die Schulverwaltung nicht einlassen wollen. Den Mann hatten sie abgelehnt. Lyrik? Das war nicht jedermanns Sache. - Auch hatte Schätzing irgendwo geäußert, mit Gott könne er nichts anfangen, Religion sei ihm schnuppe. Und: Sei er nicht jüdisch? - Wohl kaum. Nein, das nun nicht. Wenn einer«Adolf»mit Vornamen heißt? Alexander Sowtschick, bald siebzig Jahre alt, stand seinen Mann, er war zur Stelle. Als einer der bekanntesten Schriftsteller wurde er angepriesen, Herder-Preis, Hebbel-Preis, Keyserling-Ring. Es werde Zeit, daß man seine Arbeiten in Amerika endlich zur Kenntnis nehme.
     
    Sowtschick sah von der blumengeschmückten Saalbühne herab auf die bunt gekleideten Lehrerinnen, zwischen denen Kellner hin und her liefen mit Kaffee und Kuchen. Er sprach den Frauen davon, daß das Dichten sauschwer sei, aber doch auch irgendwie leicht, wenn man es richtig anfängt. Und er stückelte ihnen ein paar heitere Stellen aus seinen Büchern zusammen. Es wurde viel gelacht und tüchtig geklatscht. Die Damen nickten einander zu: Das ist richtig gewesen, daß wir den Sowtschick eingeladen haben, wieso ist das nicht schon längst geschehen? Dieser Mann trägt den Kopf an der richtigen Stelle.
    Und: Eigenartig, obwohl Deutschland Tausende von Meilen entfernt ist, waren einem all die Geschichten, die er erzählte, nicht fremd … Handelte es sich denn um Ewigmenschliches?
     
    Nachdem Alexander den Zwischenapplaus gemolken hatte, sprach er über das Schreiben, wie man es macht. Man könne es lernen, denn er habe es ja auch gelernt. Auch das gefiel den Damen. Am Ende könnte man selbst noch damit anfangen.
    Das Töpfern und das Weben sein lassen und statt dessen mit dem Schreiben von Gedichten anfangen? Es wäre doch gelacht!
    Da er seine Belehrungen recht flüssig von sich gab und sich gleichzeitig lässig vor dem Podium auf und ab bewegte, ohne auch nur einen Blick auf seine Notizen zu werfen, waren sie angetan von ihm und applaudierten, als er das Zeichen dazu gab.« Wie alt ist der Mann?»wurde gefragt.
     
    Wie nett, daß sie ihn eingeladen hätten, sagte er zu den Damen, sonst hätte er diesen wundervollen Ort nie zu sehen gekriegt, nun könne er doch wenigstens seiner Frau berichten, was für herrliche Menschen es in den Staaten gibt. Er ist ganz begeistert, überall werde er so herzlich aufgenommen, weit herumgekommen in der Welt, Indien, Natal, Salzburg, Hongkong, aber nie so herzlich aufgenommen wie in den Staaten, und speziell hier in Orlando! Die Menschen in Amerika kämen ihm irgendwie besonders vor … und gern möcht er für immer in diesem Land Wurzeln schlagen, am besten gleich hierbleiben! Und da erhob sich noch einmal gewaltiger Applaus, und er bekam von der obersten Schulbeamtin einen Blumenstrauß für seine Frau geschenkt. Nett, aber wie sollte er das Dings bis nach Deutschland durchbringen?
     
    Die Schulbeamtin fragte sich, ob sie den Sowtschick nicht für länger engagieren sollte, den Frauen das Schreiben

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