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Letzte Gruesse

Titel: Letzte Gruesse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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wieder hinauslief. Läuft und läuft und läuft, hier rein, da raus … Schließlich stellte er die Sache ab, vielleicht hatten sie draußen ja einen Zähler angebracht und verfolgten es, daß hier einer immerfort das Wasser laufen läßt, hinein und wieder hinaus, ohne Sinn und Verstand.
    «Was haben Sie sich eigentlich dabei gedacht?»
    Er stieg ins warme Wasser. Endlich Ruhe! Und er begrüßte seine Füße am Ende der Wanne als alte Bekannte: Das Raumschiff hat den Zenit erreicht. Der Astronaut wird aus dem Sessel gehoben, leicht wird er, sehr leicht, und unter sich sieht er Raketenteile auf die blaue Erde zurückfallen.
     
    Er drehte die Daumen über der Wasserfläche, und er schob den Seifenfilm von sich weg. Wie gut, daß er das Zimmer nicht teilen mußte mit irgend jemandem. Einem, der an die Tür pocht: ob es noch lange dauert?
    Hier herrschte Ruhe im Karton. Schade nur, daß statt des zweiten Fernsehers kein Klavier in dem Zimmer stand … Dann hätte er ein wenig Chopin spielen können, und die Leute im Restaurant hätten gedacht: Donnerwetter … Ist der aber musikalisch …«Wissen Sie, wir hatten schon die unterschiedlichsten Gäste, aber einen, der so gut Klavier spielen kann, hatten wir noch nie …»
     
    Während er da so lag, embryonal in dem sich allmählich ins Laue abkühlende«Frucht»wasser, und Gott pries, daß er alleine war, wurde die Zimmertür geöffnet, man konnte es hören, und jemand fragte laut und deutlich: Hällo? Alexander mußte herauspatschen aus der Wanne. Er legte sich ein Handtuch um und konnte gerade noch mitkriegen, daß die Tür wieder geschlossen wurde. Man hatte wohl nur die Minibar auffüllen wollen.
     
    Er klingelte nach heißer Schokolade, die würde ihm guttun. In das große Laken gehüllt, setzte er sich ans Fenster und verfolgte den steten Strom der Autos.
    Am Hang gegenüber war eine kleine Farm auszumachen, blanke Metallsilos blinkten herüber. Sie erinnerten ihn an Sassenholz, o Gott! Wie hatten die Umweltschützer dagegen protestiert - hier paßten die Dinger hin.
    Mit einer Zwei-Komma-zwei-Kanone hätte man die Silos in Brand schießen können, das hätte Alexander noch hingekriegt, wie damals in Weißrußland die verlausten Hütten der Bauern. Er saß lange da, ohne sich zu rühren, und die Autos mit den Wintersportlern fuhren vorüber, eins nach dem anderen, alle von links nach rechts. Und alle Leute guckten geradeaus. Skibehälter wie kleine Särge auf dem Dach. Ein ruhiges Sportwochenende hatten sie sich redlich verdient.
     
    Alexander nahm die Brieftasche und schichtete die Banknoten um, und dann griff er in das unterste Fach und holte das Foto von Freddy hervor.«Das Kind», wie er sagte. Er mußte an die schönen Stunde denken, die sie zusammen gehabt hatten, Indian summer. Nicht:«Er nahm sie in die Arme …», das eben nicht. Er hatte es gar nicht erst versucht, denn es wäre nicht gegangen, es war anders gewesen. Er hatte sie auf die Mauer gehoben - federleicht war sie gewesen, obwohl stämmig - und fotografiert. Während sie miteinander redeten, hatte sie von einem frischen Ast den Bast abgeschält, den Geruch hatte er noch in der Nase. Dieses Foto hatte die Jahre überdauert. Ob sie noch an ihn dachte? Er war sich fast sicher. Er zerriß das Foto: Was tu ich da?«Was tu ich da?»sagte er laut. Er riß es einmal von oben nach unten durch und einmal quer und legte die vier Fetzen auf den Tisch.«In diesem Augenblick werde ich ausgelöscht sein in ihrem Gedächtnis, sie wird mich für immer vergessen», dachte er,«dies ist ein magischer Moment.»
     
    Weshalb der heiße Kakao nicht gebracht wurde, das war eine andere Frage. Er klingelte noch einmal, aber niemand kam, wie lange er auch wartete.
    «Ach so», sagten die Leute unten im Restaurant.«Wir dachten, Sie wollten den Kakao hier unten trinken.»Da stand er auf dem Tisch, mit Keks auf der Untertasse, inzwischen natürlich eiskalt. Man hatte sich schon gewundert …
     
    Am Nachmittag ging er einmal ums Hotel herum. Eine Tankstelle, ein Holzlager und das Hotel von hinten mit Flaschenkisten und einem Heizöltank.
    Ein Reisebus war gekommen, und die Leute drängten in den Souvenirshop. Hier gab es gehäkelte Deckchen zu kaufen und geschnitzte Gnome, einen neben dem andern. Stars-and-Stripes-Hosenträger gab es nicht.
    Alexander kaufte ein Kanu mit zwei Indianern: Das war sonderbar: Genau so ein Indianerkanu hatte er als Kind besessen! Die Figuren aus einer speziellen Pappmachémasse, die sich

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