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Letzte Gruesse

Titel: Letzte Gruesse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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Schitti und Klößchen, er sah sie im Garten herumhüpfen, und das zog ihm das Blut zum Herzen. Ich hätte öfter mit ihnen in den Garten gehen sollen. Weshalb war er nicht mitgehüpft?
    Er bog die Finger ein und zählte, wie oft ihm schon das Horn erschienen war: Viermal? Fünfmal?
    «Wenn’s öfter passiert, führt das zur völligen Erblindung», hatte Dr. Schmauser gesagt. Aber es war eben nicht öfter passiert, viermal, fünfmal, alles in allem. Und jetzt eben das sechste Mal.
     
    Auf dem Tisch lagen die Fetzen von Freddys Foto.«Nein, das geht nicht», sagte er,«das Bild werfe ich nicht fort!»Er ging hinunter und ließ sich Klebeband geben und setzte sich an den Tisch und flickte das Puzzle wieder zusammen. Freddys Gesicht war unversehrt. Vielleicht hatte er schon beim Zerreißen darauf geachtet, daß er es nicht zerstörte?
    «So mag es gehen», sagte er und schob das Foto wieder in das Brieftaschenfach. Da wird es ruhen bis an das Ende aller Tage … Aber wenn sie mich finden, werden sie sagen:«… was ist denn das für ein Foto …»
    Am besten, man tut es zu den anderen in den Karton, dachte er und mischte das Bild der stämmigen und doch so federleichten Freddy unter die anderen Fotos.
     
    Im Restaurant war reger Betrieb, wo kamen all die Leute her! Die Tische waren von Sippen besetzt, sämtliche Generationen durcheinander, verschieden große Kinder liefen umher, Babywagen am Tisch, irgendwo sogar ein schwarzer Schwiegersohn, und im Kamin blakte ein reguläres Feuer.
    Man ließ Alexander eine Weile in der Tür stehen, man wußte nicht so recht, wohin mit ihm. Schließlich konnte ein Tischchen freigemacht werden, direkt neben einem Mantelständer gegenüber dem Ladys Powderroom. Frauen mit Handtasche gingen hinein, und mit Handtasche kamen sie wieder heraus.
    Er bestellte gebratenen Schinken mit Birnenkompott, und während des Essens beobachtete er die Leute, die hier saßen.
     
    Seitlich ihm gegenüber saß ein alter Mann mit langen Haaren und Silberschmuck über dem schwarzen Pullover. Ein Antivietnamveteran? Er redete auf eine junge Frau ein, und sie ließ das mit sich geschehen. Sie aßen Applepie, und er erzählte ihr, was er so alles Tolles gemacht hat in seinem Leben und wie schlau er ist. - Staunte sie Bauklötze?
     
    In einem Nebenraum tagte eine Sekte. Patriarchen mit Bart und rosa herausgeputzten kleinen Mädchen. Eine Frau in hängendem Gewand hielt am Pult eine Rede, ab und zu unterbrochen von Zustimmungsrufen, und alle kriegten was geschenkt.
     
    Nun wäre es doch ganz angenehm gewesen, wenn jemand an Alexanders Seite gesessen hätte. Schätzing - schade eigentlich. Mit dem hätte er die Reihe der Kollegen durchhecheln können:«Kennen Sie den? Und kennen Sie die Sowieso?»Und natürlich erst mal nur Gutes sagen über diese Leute, bis man es mitkriegt, daß man ohne weiteres lästern kann. Erst warten, ob das auf fruchtbaren Boden fällt, was man da sagt, und dann ohne Rücksicht auf Verluste. Schätzing würde jetzt mit amerikanischen Hochschullehrern darüber diskutieren, was für ein beschissenes Land Deutschland ist, und man würde zu ihm sagen: Wie gut, daß es zwei Deutschlands gibt …
    «Deutsche Wochen»? - Müßte es nicht«Deutsch-deutsche Wochen»heißen? Das würde er von amerikanischen Ignoranten gefragt werden. Um den Fleischgrill herum würden sie sitzen. Wie phantastisch, daß es neben der doch wohl irgendwie faschistischen Bundesrepublik auch noch ein sozialistisches Deutschland gibt … Dieses andere Deutschland würde verhindern, daß erneut Krieg und Verbrechen ausgeht von Germany.
     
    Am Abend fuhren noch immer Autos am Fenster vorüber, bis in die späte Nacht ging das. Aber nicht von links nach rechts, sondern umgekehrt, von rechts nach links. Die Menschen guckten noch immer geradeaus. Alle Welt fuhr nach Hause.
     
    Was blieb ihm übrig? Alexander holte sich Popcorn und setzte sich vor den Fernseher und glitt von einem Kanal zum anderen. Ein Liebesfilm mit Grace Kelly und Frank Sinatra. - Ein Gespräch über Steuern -«The country needs people …»Irgendwelche Soldaten in einer Universität. - Ein religiöser Vortrag, Baseball.
    Nachrichten: Daß ein Feuer ausgebrochen ist in einem Appartement, und wer es als erster entdeckt hat, und daß der Mann nicht zu Hause war und die Frau mit zwei kleinen Kindern … Reklame: Eine Reiterin liebt kalte Luft, sagt sie, sie hat ein Hautöl, das hilft ihr«look younger». - Ein Betrunkener freut sich, daß er Alka Seltzer

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