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Letzte Gruesse

Titel: Letzte Gruesse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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hat.«Hansel und Gretel»-Kekse sind die besten.
     
    Alexander saß vornübergebeugt vor dem Gerät, Popcornkrümel im Schoß, er hätte sich auch zurücklehnen können, aber er lehnte sich vor, er paßte auf, ob er was notieren könnte in seinem Tagebuch.«Wenn du erst mal wieder zu Hause bist, kriegst du das nie wieder zusammen», und er drückte den Programmknopf wieder und wieder. Von Pferdeabschlachtereien kam nichts über den Äther.
     
    Europa kam in den Nachrichten nicht vor. Alexander schaltete aus. Er nahm das Buch von 70/71 vor, das er in New York gekauft hatte, die altertümliche Schrift, das schlechte Papier … Schilderung der Schlacht bei Sedan, wie die Soldaten vorstürmen, der Offizier vorneweg. Das Schlachtfeld danach, die Leichen, die steifen Arme gen Himmel gereckt.«Ein Schlachten war’s, nicht eine Schlacht zu nennen.»- Geschichten von Franktireurs, die man an einer Hauswand erschießt.
    Biwak im Regen,«Bivouacs»stand da geschrieben, alle haben den Durchfall. - Bivouacs? Alexander verstand zunächst gar nicht, was damit gemeint war.
    Die dänischen Jungen in Sassenholz: blühte denen auch ein Biwak? Würden sie auch Durchfall kriegen?

23
    Am nächsten Morgen öffnete Alexander das Fenster weit.«Sonntag ist’s in allen Herzen!»-«Im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes!»sagte er und atmete tief ein und aus.«Amen!»
    Ein religiöses Gefühl, gemischt aus Dankbarkeit und Aberglaube, bewegte ihn.
    Der alte Mann und das weiße Pferd. Dank, daß ihm der Speichel noch nicht aus dem Munde troff … Dank! Und Dank, daß er kein Messer bei sich getragen hatte, es hätte doch sein können, aus was für Gründen auch immer?
    Auch die Gedanken an Schätzing verblaßten. Er kannte das schon: Das war eine der angenehmen Begleiterscheinungen des Alterns, daß alles Unangenehme verblaßt.
     
    Dankbarkeit: Es war alles ganz gut gelaufen bisher … Warum sollte ich mich an diesem Sonntagmorgen nicht hinknien?, dachte er. Warum knie ich mich nicht hin, wie es die Alten getan haben? Aber wo? Unter dem Fensterbrett? An der Tür? Vorm Fernseher? Vorm Klo?
    Es gibt in dieser Welt keinen Platz, an dem ich mich hinknien könnte, dachte er, und auch das Bedürfnis zu danken, verblaßte allmählich, so wie es das Horn in seinem Auge getan hatte und die Dünnbrettbohrer-Affäre und die Gedanken an wißbegierige Hochschullehrer, die sich um Schätzing scharten.
     
    Auch Marianne gehörte in sein Dankbarkeitsensemble.
    Er hätte jetzt gern ein Bild von ihr gehabt, das hätte er vor sich aufgestellt und lange angesehen. Aber er hatte keines mitgenommen!
    «Wie konnte es passieren, daß ich kein Foto von ihr mitgenommen habe», sagte er laut.«Wer weiß denn, was noch alles geschieht, und ich habe nicht einmal ein Bild von ihr. Wenn ich nun plötzlich umfalle? Und die Leute sagen: Hat er denn kein Bild von seiner Frau?»Und in seiner Vita würde zu lesen sein: Das Verhältnis zu seiner Frau war problematisch.
     
    Sie jetzt anzurufen würde keinen Sinn haben; ihr zu sagen,«du hör mal, ich habe eben ganz intensiv an dich gedacht …»Es war jetzt in Sassenholz mitten in der Nacht, sie schlief, das abgestellte Telefon neben sich auf dem Fußboden, den Zopf seitlich auf dem Kissen deponiert. Das kleine Stübchen unter dem Dach juchhe! Mit ihren paar privaten Habseligkeiten. Einen Samowar würde sie eines Tages kaufen und bei sich aufstellen. Wenn mal einer kommt, würde sie denken, dann mach ich Tee in dem Samowar.
     
    Daß er nicht mit Schätzing zusammengetroffen war, wäre vielleicht auch ein Grund zu Dankbarkeitsgebeten gewesen, aber das war vielleicht doch schade. Saß man denn nicht in einem Boot?
     
    Er stand am Fenster, und frische Luft strömte herein, frische, kräftige Bergluft. Der Gast nach ihm sollte es gut haben. Und: ihm war danach, er konnte nicht widerstehen, ein paar Freiübungen zu machen, was sich allerdings im wesentlichen darauf beschränkte, daß er sich mehrmals vor dem Farmerhaus da drüben tief verneigte. Vielleicht würde das Horn ja nicht mehr erscheinen, wenn man das regelmäßig machte?
     
    Er wusch sich die Haare und fönte sie. Im Rasierspiegel betrachtete er sich von der Seite, und es war nicht übel, was er da zu sehen kriegte. Von links sah er besser aus als von rechts, das war ihm schon wiederholt gesteckt worden.
     
    Dann suchte er das Bild von Freddy aus dem Fotokarton hervor. Und er schob es zurück in die Brieftasche an seinen angestammten Platz. Dann

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