Letzte Haut - Roman
wenn so ein reicher Schnösel fällt. Sie werden sich genauso wie der Erbprinz freuen, aber da fängt das Problem eben an. Der Prinz will Mordbeweise, ihm reicht die Korruption nicht, aber wie soll ich das schaffen? Wie soll ich Koch persönlich motivierte Morde nachweisen? Nach zwei Jahren? Sicherlich, er ist ein Massenmörder, ein Serienmörder, er hat Tausende Häftlinge umbringen lassen und hat wohl auch selbst geschossen und gehenkt, aber dazu war er ja legitimiert. Das geschah ja alles auf Befehl der Vorgesetzten in der SS, also von Himmler selbst, der seine Befehle direkt von Hitler bekam. Wegen der Serienmorde an den Häftlingen kann ich Koch nicht verantwortlich machen, ich könnte da nur Hitler selbst verantwortlich machen. Nur ihn könnte ich als Auftraggeber vor Gericht zerren, aber dummerweise ist er auch gleichzeitig der oberste Gerichtsherr im Reich und somit allein bevollmächtigt, alle Gesetze zu ändern, die ihm gefährlich werden könnten. – Noch von der Anklagebank aus könnte er Gesetze für ungültig erklären lassen, die ihm nicht passten, und genau darum muss die Justiz immer von der Politik unabhängig bleiben, genau aus diesem Grund. Das ist der Grund, für den ich gekämpft habe. Für die Wiedereinsetzung der Gewaltenteilung zwischen Politik und Rechtsprechung. In Stettin und in Krakau, und an der Ostfront habe ich gelitten, um unbestechlich zu bleiben, unbestechlich! Ich werde vor keinem Politiker der Welt zusammenbrechen, solange ich ein Richter bin. – Mein Gott, das klingt ja schon fast wie so eine Durchhalteparole, verdammt! Was soll das?
Kurt Schmelz zog die Schultern zusammen, um sich gegen ein Schneegestöber zu schützen, das unerwartet über den Platz fegte. Er ging zur Tür, die sich seitlich vom Hauptwachturm am Tor befand, klopfte und ließ sich sofort zu jener Zelle bringen, in der sich der Häftling Meiners befand.
„Hauptsturmführer“, sagte der Insasse, sprang auf und nahm sofort Haltung an.
„Meiners“, sagte Doktor Schmelz, nachdem die Zellentür geschlossen worden war: „Setzen Sie sich aufs Bett.“
Doktor Schmelz selbst setzte sich halb auf den schmalen Tisch, der sich an der gegenüberliegenden Wand befand, und steckte sich eine Zigarette an. Er bot auch Meiners eine an, der sie dankend annahm.
Nachdem die beiden Männer ein paar Züge genommen hatten, wiederholte Schmelz wieder einmal seinen Einstiegssatz. Meiners sei ziemlich wohlgenährt, er sei ja geradezu fett, wo doch die anderen Häftlinge alle dürr seien, dürr und am Verhungern! Wie das denn komme?
Das wisse er auch nicht, wiederholte Meiners wie immer ausweichend, er könne sich auch keinen Reim darauf machen.
Nun sei Meiners schon Monate im Knast, und habe immer noch nicht abgenommen, er müsse gute Freunde haben unter den Wachen, die ihn gut versorgen, gute Freunde oder gutes Geld?
Ganz gewiss nicht, er bekomme hier, was alle bekommen, meinte Meiners und sah dem Hauptsturmführer für einen Moment in die Augen. Irgendwie wirke der heute auf ihn anders, euphorischer, als sei er siegesgewiss, stellte Meiners fest. Er inhalierte und stieß den Qualm langsam aus.
Bevor er als Jude nach Buchenwald gebracht worden war, war er Fabrikdirektor in einer Wäschefabrik gewesen, und damals hatte er es oft mit Geschäftspartnern aller Art zu tun gehabt. Es waren Leute darunter gewesen, die nur auf ihren eigenen Vorteil bedacht waren, welche, die sich überreden ließen, und welche, denen eine gute Geschäftsbeziehung wichtiger als der einzelne Abschluss war, und diesen Hauptsturmführer, Meiners rechnete ihn zu jenen harten Hunden, die keinen Millimeter wichen, solange sie nicht genau das erreicht hatten, was sie sich vorgenommen hatten. Solche Hunde loszuwerden, da gab es nach Meiners Ansicht nur zwei Möglichkeiten: Sie entweder nicht bis ins Direktorenzimmer kommen zu lassen oder ihnen genau das zu geben, was sie wollten, um sie schnell wieder loszuwerden. Möglichkeit eins fiel ja leider aus, aber konnte er es wagen, Köhler und Hackmann und Koch zu verraten? Er, der er doch einfach ein Jude in diesem verdammten System war? Und sie, die sie alle die ganze Waffen SS hinter sich hatten? Nein, er konnte es nicht wagen. Wenn ihm sein Leben lieb war, und das war es ihm, dann musste er auf Koch bauen, der sich sicher irgendetwas einfallen lassen würde, um ihn hier herauszuholen. Meiners war davon fest überzeugt. Er nahm den letzten Zug, drückte die Kippe auf dem Rand des Metallbettes aus und legte
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