Letzte Haut - Roman
soll ich sie Ihnen zeigen, wenn Sie nein sagen wollen? Das rechnet sich für mich nicht. Für mich wäre das ein schlechtes Geschäft, als Geschäftsmann werden Sie das sicherlich gut verstehen können. – Die Zeit läuft! – Und läuft!“
Meiners hatte sich entschieden, es hatte nicht einmal drei Minuten gedauert, und so ging er gefesselt an der Seite des Hauptsturmführers Schmelz über den Appellplatz, folgte ihm auf dem Hauptweg C, an dem wie an allen Hauptwegen links und rechts Dutzende von Baracken standen, während er spürte, wie er durch alle Türfenster beobachtet wurde. Ihm war klar, sein Verrat werde sich in Sekundenschnelle herumsprechen und auch die Wachen erreichen, als ihnen Kriminalobersekretär Doktor Tarnat entgegen kam und Schmelz zur Seite nahm.
Den beiden war nicht klar, dass Meiners jedes Wort verstehen konnte, während sie sich flüsternd unterhielten.
„Was?“, fragte Schmelz aufgeregt.
„Ja!“, antwortete Tarnat, sichtlich erschüttert.
„Unfassbar! Das gibt es doch nicht! Das kann es doch nicht geben! Das heißt ja, dass der Arzt, wie heißt der noch?“
„Hoven. Doktor Hoven. Sieht blendend aus und war früher mal ein mäßiger Schauspieler in Hollywood. Das Arztdiplom und die Stelle hier hat ihm sein Schwager besorgt, er hat nach zwei Semestern das Medizinstudium abgebrochen. Vor dem Krieg war er auch Landarbeiter in Schweden und sein Spitzname hier ist der Schöne Waldemar …“
„Ja, ja! Warum erzählen Sie mir das jetzt? Jetzt gibt es doch wichtigeres“, sagte Schmelz und drehte sich zu Meiners um: „Sie müssen sich jetzt entscheiden! In diesem Augenblick: Leben oder Tod!“
„Wie meinen Sie das?“, fragte Meiners und sah die beiden SS Männer an, die sehr aufgeregt waren und sich ernsthaft getroffen fühlten. Meiners verstand, dass sie ihm nichts vorspielten, und er begriff, dass sie ehrlich an der Aufklärung interessiert waren und dass sie ganz sicher bis zum bitteren Ende kämpfen werden.
Auch in ihm breitete sich Sorge aus, obwohl er nicht recht verstand, was das alles mit ihm zu tun haben sollte. Es war eine unbestimmte Angst, die da in ihm hochstieg, eine Existenzangst.
„Erzählen Sie es ihm, Tarnat!“, sagte Schmelz.
„Alles?“
„Ja, alles, was Freudmann und May betrifft.“
„Zu Befehl. – Freudmann und May waren Häftlinge, genau wie Sie“, begann Tarnat: „Sie waren Ein- und Verkäufer für Koch, genau wie Sie, Meiners. Im Zuge unserer Ermittlungen wurden auch diese beiden von uns verhaftet. Vor einer Woche traten bei ihnen erste Vergiftungserscheinungen auf. Gestern nun wurden sie ins Quarantänezimmer überführt, weil sich niemand vorstellen konnte, was für eine Krankheit sie hatten. Dass es Vergiftungen waren, ist eine Vermutung, die noch nicht endgültig bewiesen werden konnte. – Wenigstens ihre Aussagen über den Vertrieb der Waren brauchten wir, also entschlossen wir uns gestern, dem Chefarzt Doktor Hoven einen Fragebogen zu geben, mit dem er die Häftlinge befragen sollte, weil wir selbst ja nicht in die Quarantäne gehen dürfen. Das sind die einzigen Zimmer im ganzen Lager, die uns verschlossen bleiben. In diesem Bogen ging es um konkrete Fragen. Wie viel Fleisch haben Sie auf dem Schwarzmarkt verkauft? Wie viel Geld haben Sie dafür bekommen? Wo ist das Geld geblieben, woher stammt das Fleisch? Diese Art Fragen. Mit diesen genauen Angaben erhofften wir uns, Stroink und Köhler unter Druck setzen zu können. Wenn dann und dann so und soviel Fleisch in der Kantine laut Liste als vergammelt deklariert worden war, jedoch am Folgetag genau die gleiche Menge gleichen Fleisches in Weimar verkauft wurde, dann war davon auszugehen, dass dies Unterschlagung war, welche Freudmann und May beeiden sollten. Wenigstens noch auf dem Papier, denn wir konnten nicht darauf hoffen, dass sie wieder genesen würden und es ihnen bald besser gehen würde. Das gleiche ‚Prinzip der Ausschließlichkeit‘ wollten wir auch beim Geld anwenden. Wenn Freudmann und May so und soviel Geld für den Verkauf des Fleisches bekommen hatten und exakt die gleiche Summe in der schwarzen Kasse auftauchte, deren Einnahmenbuch wir sichergestellt haben, dann war der Kreislauf geschlossen und die Unterschlagung bewiesen. Jedoch“, sagte Tarnat und machte eine Pause, weil drei Mitglieder der Totenkopfstandarte vorbeikamen, die einen Insassen an den Beinen über den Weg schleiften, der schrie und eine Blutspur hinterließ: „Jedoch verstarben Freudmann und May heute
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