Letzte Haut - Roman

Morgen! Und natürlich hatte der Chefarzt sie nicht mehr befragen können! Zufall? Die Leichen wurden sofort ins Krematorium gebracht, ohne dass Doktor Ding Schuler, der die Fleckfieberversuchsstation betreibt, sie noch einmal untersuchen konnte, wie es in solchen Fällen doch sonst allgemein üblich ist. Zufall? Nein! Sie wurden ermordet, ohne vorher noch ausgesagt zu haben! Das Gleiche wird alsbald mit Ihnen passieren, Meiners!“
    Und Hauptsturmführer Schmelz wiederholte: „Das Gleiche wird Ihnen passieren, wenn Sie nicht aussagen! Ich kann Sie jetzt sofort als wichtigen Zeugen von hier wegbringen lassen. Zielort: geheim. Aber wenn Sie auch nur noch eine Nacht hierbleiben, dann sind auch Sie geliefert! Sie werden genauso ermordet werden wie Freudmann und May, jetzt, wo das ganze Lager weiß, dass Sie mit uns zusammenarbeiten“, sagte Schmelz und deutete mit ausgestreckten Armen um sich.
    „Und woher weiß ich, dass diese Geschichte stimmt?“, fragte Meiners und sah die Ermittlungsbeamten bittend und mit hoffendem Blick an. Schon während des Berichts war ihm klar geworden, dass das alles so gewesen sein müsse, die Stimmen und Gesten seien zu eindringlich und zu ernst gewesen, aber ein Beweis sei eben doch ein Beweis. Meiners hoffte, sie könnten ihm einen zeigen, dann würde er sofort aussagen, dann würde er ihnen vertrauen, gar keine Frage!
    „Zeigen Sie es ihm, Tarnat! Die Scheine, raus damit“, sagte Schmelz, und Tarnat holte daraufhin zwei Schreiben aus seiner Aktentasche, die er Meiners gab.
    Es waren zwei Totenschein, die Tinte der Unterschrift von Hoven war noch ganz frisch. Als Todesursache war Herzversagen angegeben. Herzversagen? Er kannte ja Freudmann und May, zwei junge Kerls, die gut genährt waren und die sich die Freizeit mit Sport vertrieben hatten. Und überhaupt, Herzversagen, das war doch wahrlich kein Grund, auf die Quarantänestation zu kommen! Nein, er glaubte Schmelz und Tarnat. Es war so gewesen, und er würde der nächste sein, wenn er jetzt nicht handelte! Auch all die Anderen würden dran glauben müssen, Meiners war sich sicher, ob sie nun in einer Waffen SS Uniform steckten oder nicht, Karl Koch würde sie alle töten lassen, die gegen ihn aussagen könnten. Sofern man ihm nicht zuvorkam: Es war entschieden.
    „Meiners, Sie sind nicht dumm! Wir müssen nur jetzt sofort handeln und Tatsachen schaffen! Ich habe tausend Sachen zu tun, vielleicht sind die Leichen noch nicht verbrannt worden, vielleicht finde ich sie noch auf den Leichenbergen, vielleicht gibt es Spuren im Krankenzimmer, in dem sie lagen, ich muß Tatsachen schaffen, Tatsachen, also, entscheiden Sie sich jetzt, Meiners“, sagte Schmelz eindringlich: „Wollen Sie Phönix oder wollen Sie Tantalus sein?“
    „Phönix! Ich sage aus! Ich schwöre es! Bringen Sie mich weg von hier! Dort werde ich Ihnen alles sagen, was Sie wissen wollen“, sagte Meiners, und er hörte seine eigene Stimme und er hörte selbst, wie viel Angst er plötzlich hatte.
    Wenn er nur daran dachte, für wie wenig dieser Koch Häftlinge durch Sommer und Blanck hatte umbringen lassen, mein Gott, wie hatte er nur so naiv und blauäugig sein können! Ganz recht, was sollte er mit all dem Geld, das er hier verdient hatte, wenn er es doch nicht mehr aus dem Lager bringen konnte? Wenn er selbst das Lager nicht mehr verlassen konnte? Es war seine einzige Chance, hier herauszukommen. Er musste als Hauptbelastungszeuge aussagen, und plötzlich begriff er: Allein Doktor Kurt Schmelz konnte ihn noch retten. Allein dieser Richter.
    „Sehr gut! Tarnat, bringen Sie ihn weg! – Meiners, nur Tarnat und ich kennen fortan Ihre wahre Identität. Sie werden ins Stadtgefängnis von Halle an der Saale gebracht. Dort werden Sie als normaler Verdächtiger wegen eines geringen Diebstahls registriert. Sie stammen angeblich aus Stendal, wo Sie auch den Diebstahl begangen haben. Kaufhausdiebstahl. Die Papiere sind schon alle vorbereitet. Ich als Ermittlungsrichter bin ausschließlich für Sie zuständig, die Männer dort werden Sie einfach nur verwalten. Ihr Name ist von nun an Altwasser, Harry Altwasser, soweit klar? Denken Sie sich die Lebensgeschichte auf dem Transport selbst aus. Tarnat bringt Sie nun persönlich nach Halle. Dort nimmt Tarnat Ihre Aussage auf! Von nun an sind Sie mein wichtigster Mann, Altwasser, verstanden?“
    „Verstanden!“
    „Ich verlasse mich auf Sie!“
    „Das können Sie! Ich werde auch nicht vor Gericht umfallen, sofern es zu einem